„Grünstreifen ist völlig irrsinnig“
Denkmalexperte fordert Anwohner zum Widerstand gegen Begrünung der Karl-Marx-Allee auf

Die Anwohner Ingrid und Ulrich Fahrich sind gegen die Begrünung des Mittelstreifens. | Foto: Dirk Jericho
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Wenige Tage nach dem sogenannten Bürgerdialog im Kino International Anfang Februar hatte Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) mitgeteilt, dass der Mittelstreifen auf der Karl-Marx-Allee (KMA) entgegen ursprünglicher Planungen begrünt wird. Dagegen regt sich immer mehr Widerstand.

Für Militärfans sind die Videos auf Youtube von den NVA-Paraden auf der Karl-Marx-Allee (KMA) eine Augenweide. Mit Stahlhelm und Standarten, Panzern und Raketen ziehen Offiziersschüler exakt im Takt der Trommler im Exerzierschritt an der Tribüne vorbei, auf der Erich Honecker salutiert. Auch die Werktätigen aus den Betrieben und FDJ-ler huldigten auf der 80 Meter breiten Paradestrecke aus Beton jahrelang die DDR-Oberen bei den Aufmärschen zum Republikgeburtstag oder 1. Mai. Für Denkmalschützer ist die KMA deshalb nicht nur ein „herausragendes Zeugnis für den Städtebau der DDR“, wie Landeskonservator Christoph Rauhut auf dem Bürgerdialog sagte, sondern auch ein Beispiel für den „politischen Raum der Machtdemonstration der DDR“. Seine Behörde hatte deshalb den umstrittenen Plänen für einen durchgängigen Grünstreifen nicht zugestimmt. Um den politischen Raum auch „erlebbar und erfahrbar zu erhalten“, so Rauhut, sollten Lösungen gefunden werden.

Denn ein Grünstreifen verändert das Gesamtbild der Magistrale und könnte zu Problemen bei der Weltkulturerbe-Bewerbung für das Berliner Projekt „Das doppelte Berlin“ mit Hansaviertel und Karl-Marx-Allee führen. Wie berichtet, hatte Günthers Planungsänderung beim laufenden Straßenumbau Ende 2019 für Ärger unter den Anwohnern und Zoff unter den Senatoren gesorgt. Die Grünen-Politikerin begründete die Änderungen hin zum Grünstreifen mit dem Mobilitätsgesetz und den Klimaveränderungen. Grün statt Parkplätzen soll für besseres Mikroklima sorgen.

160 Parkplätze fallen weg

Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, die Senatskulturverwaltung, das Landesdenkmalamt und der Bezirk haben sich im Grünstreifenstreit auf folgenden Kompromiss geeinigt: Die 160 Parkplätze auf dem zehn Meter breiten Mittelstreifen kommen zwar weg, aber der Betonstreifen wird nicht durchgängig begrünt. Drei Bereiche auf dem Mittelstreifen werden als Platzfläche befestigt. Die insgesamt 200 Meter langen Areale auf der 880 Meter langen Magistrale sind am Alexanderplatz, am Strausberger Platz und direkt vor dem Kino International.

Für Architekt Georg Wasmuth ist der „Grünstreifen völlig irrsinnig“, wie er sagt. Wasmuth betreut als Denkmalexperte für den Bezirk die Entwicklung der Karl-Marx-Allee im Rahmen des Programms „Städtebaulicher Denkmalschutz” für das Denkmalensemble „Karl-Marx-Allee zweiter Bauabschnitt“. Für ihn ist der politisch gewollte Grünstreifen „fachlich nicht zu verantworten“ und eine „Ignoranz der Qualität der Ostmoderne“. Der Grünstreifen habe „keinen Sinn und Zweck“ und entspringe „einer einzelnen Meinung“. In dem Wohngebiet gebe es „wahnsinnig viel Grün“, die Häuser in der sozialistischen Mustersiedlung seien „in einen Park gesetzt“. Die Karl-Marx-Allee ist eine der breitesten Straßen Europas, die in den 1960er-Jahren als Aufmarschgebiet geplant wurde. „Das wird man nicht mehr nachvollziehen können. Der Grünstreifen verändert den Charakter der Straße komplett“, sagt Georg Wasmuth.

Art und Weise der Senatorin "skandalös"

Er ist der einzige, der Ulrich Fahrich auf seinen offenen Brief geantwortet hat. Der frühere Elektroingenieur lebt seit 26 Jahren an der Berolinastraße am Rathaus Mitte und hat sich in einem „Protestschreiben zum Straßenumbau“ an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), Verkehrssenatorin Regine Günther, Kultursenator Klaus Lederer (Linke), das Landesdenkmalamt, das Bezirksamt und weiteren Adressaten wie dem KMA-Betreuer Georg Wasmuth vom „Büro West“ gegen die Grünpläne gewandt. Fahrich ist 83 und hat selbst das sozialistische Stadtzentrum mitgeplant. Mit der SED hatte er nichts am Hut. Ihn ärgert wie auch andere im Wohngebiet der Wegfall der 160 Parkplätze auf dem Mittelstreifen und die Zerstörung des historischen Erscheinungsbildes der Magistrale. Vor allem aber findet er die Art und Weise der Umweltsenatorin „skandalös“. Ulrich Fahrich und seine Frau Ingrid, die als Erstbezieherin der Wohnung an der Berolinastraße seit 1963 im Gebiet wohnt, bringt vor allem die Basta-Politik der Grünen-Verkehrssenatorin Regine Günther auf die Palme. Die hatte auf dem „Bürgerdialog“ in Kino International im Februar klargestellt: „Wir stimmen nicht ab, letztlich entscheiden wir.“ 2015 hatte der damalige Bausenator Michael Müller (SPD) nach Anwohnerprotesten noch auf einen begrünten Mittelstreifen verzichtet und war seinerzeit dem Wunsch der Anwohner gefolgt, die Parkplätze zu erhalten.

„Die Entscheidung der Senatorin ist auch mir sehr unverständlich und ich hoffe immer noch, dass es zu einer Überprüfung der Entscheidung kommt“, schrieb Georg Wasmuth an Ulrich Fahrich. Er will, dass die Leute aufstehen und sich wehren. Es „bleiben noch weitere Aktionen von den Bewohnern erforderlich“, so Wasmuth in seiner Antwort.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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