"Erst Corona, jetzt der Radweg"
Geschäftsleute auf der Invalidenstraße verlieren ihre Lieferzone

Wollen eine durchdachte Lösung (von links): Merlin Scheffler, Sieglinde Schellig, Mohamed D. Abu Al Abed und Gesa Simons. | Foto: Kiefert
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  • Wollen eine durchdachte Lösung (von links): Merlin Scheffler, Sieglinde Schellig, Mohamed D. Abu Al Abed und Gesa Simons.
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Die Invalidenstraße bekommt zwischen Brunnenstraße und Gartenstraße den lange angekündigten Radweg. Abgegrenzt mit Pollern soll er die Radler besser schützen. Verlierer aber sind die vielen kleinen Geschäfte.

Noch im Oktober soll es losgehen mit den Markierungsarbeiten für den Radweg. Zuerst auf der Nordseite der Invalidenstraße, bis Jahresende auf der Südseite. Flankiert wird der Radweg auf seinen gut 400 Metern zwischen Brunnen- und Gartenstraße von Pollern, damit die Radler vor Autos und Straßenbahn geschützter sind.

Lieferverkehr in die Nebenstraßen umleiten

Doch der Radweg stößt vor allem bei Geschäftsleuten auf viel Kritik. Sie verlieren nicht nur Parkplätze für ihre Kunden, sondern auch die einzige Ladezone auf der Invalidenstraße. Das Bezirksamt verweist den Lieferverkehr nämlich in die Nebenstraßen: auf 30 Metern in die Ackerstraße und auf knapp zwölf Metern in die Elisabethkirchstraße. Viel zu weit weg, schimpfen die Geschäftsleute. „Wenn der Lieferverkehr hier nicht mehr möglich ist, macht das unsere Läden kaputt und nimmt dem quirligen Kiez seine historisch gewachsene Vitalität“, befürchtet Sieglinde Schellig, Inhaberin des Blumengeschäfts „Kornblume“ an der Bergstraße. Schellig spricht für fast alle Geschäfte in der Nachbarschaft. In der Invalidenstraße kennt man sich und hält zusammen. „Für uns ist es jetzt schon total schwer“, sagt Gesa Simons. Denn vor ihrer Fleischhandlung können die Kleinlaster nur kurz stoppen, da die offizielle Lieferzone erst weiter oben in Höhe der Ackerstraße beginnt. „Also rennen alle raus und schleppen schnell die Paletten rein.“ Mit dem Radweg sei dann aber selbst das nicht mehr möglich. Der Bio-Späti „7. Himmel“ hat das gleiche Problem. „Wir bekommen alle drei Tage Fleisch geliefert. Wo sollen die Lieferanten dann bitte schön halten“, fragt Inhaber Mohamed Daniac Abu Al Abed.

"Wenn der Radweg wirklich so kommt,
werden wir vielleicht schließen müssen“

Wie die anderen rechnet auch Marcus Baumgart von der Weinhandlung „Baumgart & Braun“ mit deutlichen Umsatzeinbußen, wenn die Lieferzone vor der Tür verschwindet. Denn die Weinhandlung wird nicht nur beliefert, sondern liefert auch aus. „Wenn ich mit 20 Sackkarren erst in die Elisabethkirchstraße laufen muss, um alles einzupacken, brauche ich für eine einzige Lieferung zwei Stunden.“ Die Weinhandlung selbst wird drei- bis fünfmal am Tag von Lieferanten angefahren. Mit Paletten, die bis zu 800 Kilogramm schwer sind. Die könne er nicht quer über die Straße schleppen, sagt Baumgart. „Erst Corona und jetzt das. Wenn der Radweg wirklich so kommt, werden wir vielleicht schließen müssen.“

Geschäftsleute nicht befragt

Nun sind die Geschäftsleute nicht grundsätzlich gegen den Radweg, stellt Sieglinde Schellig klar. Aber er treffe mit seinen Folgen die wirtschaftlich Schwächsten, also Einzelhändler und Anwohner mit kleinem Einkommen, die sich keine teuren Tiefgaragenplätze leisten könnten. Das sei nicht gerecht, findet Schellig. „Auch weil die begünstigten Radfahrer hier gar nicht wohnen, sondern die Invalidenstraße als Transitstrecke von Mitte nach Pankow nutzen.“ Außerdem seien die Geschäftsleute nicht befragt worden, moniert Schellig. Nähere Infos zum geplanten Radwegbau habe sie erst nach mehreren Mails ans Bezirksamt, den Senat und Berlins Regierenden Michael Müller (SPD) bekommen. Daraufhin gab es ein kurzfristiges Treffen mit einem Mitarbeiter aus dem Bezirksamt. „Unser Eindruck war danach, dass sich die Situation hier vor Ort niemand angeschaut hat. Der Radweg, der auf der gefährlichen Kreuzung an der Brunnenstraße im Nirwana endet, wurde offenbar nur am Schreibtisch geplant.“ Laut Bezirksamt soll es im Vorfeld gemeinsame Abstimmungen in einer Projektgruppe gegeben haben, an der Senat, Bezirk, BVG, Polizei und eine Anwohnerinitiative beteiligt waren. Von einer solchen Projektgruppe hätten die Geschäftsleute gern früher gewusst. Denn sie haben eine aus ihrer Sicht machbare Lösung: Poller weg – für eine temporäre Lieferzone auf dem Radweg und zwar außerhalb der Stoßzeiten. Die Radfahrer müssten dann zwar ausweichen, sagt Schellig. „Das ist aber andernorts genauso.“

Laut Bezirksamt kostet der Radweg rund 180 000 Euro. Das Geld fließt aus dem Förderprogramm "Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs“. Geplant sind auf der Invalidenstraße außerdem noch der barrierefreie Ausbau der Tram-Haltestellen und die Umbau von Kreuzungen.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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