100 Jahre Groß-Berlin
Tiergarten muss improvisieren und Dienststellen in Privatwohnungen einrichten

Auf ein eigenes Rathaus musste der Bezirk Tiergarten 17 Jahre lang warten. Doch da war die Verwaltung seit vier Jahren nicht mehr demokratisch. | Foto: KEN
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1920 entsteht Groß-Berlin. Tiergarten und Moabit sind schon Berliner Stadtteile. Nun werden sie zum „II. Verwaltungsbezirk Tiergarten“ zusammengefasst.

Das neue Verwaltungsgebilde entsteht aus den früheren Stadtbezirken 31-49, 283-292C und 293A-304 von Alt-Berlin, also aus den Ortsteilen Tiergarten, Moabit, Untere Friedrichsvorstadt und Schöneberger Vorstadt. Seinen Namen erhält es nach dem Großen Tiergarten.

Der als Wohnbezirk klassifizierte Bezirk Tiergarten mit seinen wichtigsten Einkaufsstraßen Turmstraße, Potsdamer Straße, Lützowstraße und Budapester Straße hat eine Gesamtfläche von 1355 Hektar. Der Parkanteil beträgt einschließlich der Friedhöfe nur 246 Hektar. Tiergarten hat 273 502 Einwohner. Weit über die Hälfte sind Frauen. Gemessen an seiner Bevölkerungsdichte platziert sich der neue Bezirk 1920 mit 20 170 Einwohnern je Quadratkilometer auf Rang sechs unter den Berliner Bezirken. Er bereichert Berlin mit dem Hansaviertel auf den früheren „Schöneberger Wiesen“, mit dem vornehmen Alsenviertel auf der Nordseite des Spreebogens, mit dem repräsentativen Königsplatz, heute Platz der Republik, der Siegessäule, dem Reichstagsgebäude und der Krolloper.

Kein eigenes Rathaus bis 1937

Tiergarten ist seit 1884 offizieller Stadtteil der Metropole. Ein eigenes Rathaus hat der Bezirk daher nicht. Das erhält er erst 1937, als erster Verwaltungsneubau der NS-Zeit in Berlin. Die Weimarer Republik ist vier Jahre zuvor untergegangen.

Zurück ins Jahr 1920: Tiergartens Verwaltung muss komplett neu aufgebaut werden. Zu den wichtigsten Aufgaben der frisch gewählten Bezirksversammlung (BV), Vorläuferin der heutigen Bezirksverordnetenversammlung, zählt die Beschaffung von Räumen für die Bezirksverwaltung. Schließlich gelingt es einem Sonderausschuss nach sechs Arbeitssitzungen, sie unterzubringen.

Die BV, in der bis 1925 die nationalkonservative DNVP dominiert, und ihre Fraktionen tagen im 1906 bis 1908 von der Stadtgemeinde Berlin errichteten Friedrichs-Werderschen Gymnasium in der Bochumer Straße 8a. Dort haben auch das 13-köpfige Bezirksamt mit DNVP-Bürgermeister Karl Doflein an der Spitze und die bezirkliche Hauptverwaltung ihren Sitz. Später werden sie in das Privathaus Genthiner Straße 36 verlegt, um nach Freigabe der Räume des „Zweckverbandes Groß-Berlin“ in die Klopstockstraße 24 umzuziehen. Das Haus existiert nicht mehr.

Zahl der Beamten und Mitarbeiter wächst rapide

Der Bezirk Tiergarten richtet fünf „Verwaltungsdeputationen“, also Fachbereiche, ein: für das Bauwesen, das Wohnungswesen, die Allgemeine und Jugendwohlfahrt, für Arbeit und Gewerbe (1923 aufgelöst) sowie für Finanzen und Steuern. Ihre Mitarbeiter kommen in angemieteten Privathäusern unter. Im Frühjahr 1928 sind das immer noch 19 an der Zahl. „Die Unterbringung der einzelnen Dienststellen in Privatwohnungen in den verschiedensten Gegenden des Bezirks erweisen sich als außerordentlich störend für den Geschäftsgang“, wie es im „Ersten Verwaltungsbericht der neuen Stadtgemeinde Berlin“ zu Tiergarten heißt.

Immerhin kann Mitte 1920 die massive Bürobaracke an der Bremer Straße 21, Ecke Wiclefstraße 5-6 bezogen werden. Die Bezirksoberen bauen die Feuerwache An der Apostelkirche 9 zu einem zweistöckigen Verwaltungsgebäude um. 1923 erhält das Bezirksamt Tiergarten noch das Bauamtsgebäude des Hafenbauamts in der Westhafenstraße 4.

Doch auch das bringt keine nennenswerten Einsparungen bei den Personal- und Sachkosten. 1921 arbeiten im Bezirksamt 224 Beamte und Festangestellte, 147 Hilfskräfte und zwei Arbeiter. Sechs Jahre später ist der Apparat aufgebläht auf 847 Beamte und Festangestellte, 429 Hilfskräfte und 765 Arbeiter. Tiergarten hat das Krankenhaus Moabit und die Straßenreinigung übernommen.

"Geschäftsvorgang wird verzögert und erschwert"

„Die Schwierigkeiten hinsichtlich der Unterbringung der Dienststellen nahmen im Laufe der Berichtszeit noch zu“, wird im darauffolgenden Verwaltungsbericht für die Jahre 1924 bis 1928 vermerkt. Die Zeiten sind hart. Der Bezirk hat noch größere Aufgaben in der Erwerbslosenfürsorge, in der Wohlfahrts- und Jugendpflege und im Gesundheitswesen zu stemmen. Weitere Räume in Privathäusern werden angemietet. Das Verwaltungsgebäude an der Apostelkirche wird um zwei Etagen aufgestockt. Die gesamte Steuerverwaltung zieht im März 1927 dort ein. In der Westhafenstraße wird das Dachgeschoss für die Bauverwaltung ausgebaut.

Im Frühjahr 1928 verteilen sich die Dienststellen des Bezirksamts Tiergarten auf drei eigene Bürogebäude, ein städtisches Wohnhaus, eine Markthalle und die schon genannten 19 Privathäuser. Der Berichterstatter notiert: „Der Mangel eines eigenen Verwaltungsgebäudes macht sich in steigendem Maße bemerkbar. Der Geschäftsgang wird verzögert und erschwert, und die Verwaltung stellt sich gegenüber anderen Bezirksämtern mit eigenem Rathaus teurer.“

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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