Nur Kennenlernen hilft gegen Vorurteile
Im Rollbergviertel treffen sich muslimische Kinder und Jugendliche mit Juden – und sie mögen sich

Yonatan Weizmann leitet das Projekt "Shalom Rollberg", Susanne Weiß ist die Geschäftsführerin des Trägervereins Morus 14. | Foto: Schilp
  • Yonatan Weizmann leitet das Projekt "Shalom Rollberg", Susanne Weiß ist die Geschäftsführerin des Trägervereins Morus 14.
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Das Projekt „Shalom Rollberg“ wurde vor wenigen Wochen nicht nur Berliner Landessieger beim Deutschen Nachbarschaftspreis der nebenan.de-Stiftung, sondern erreichte auch im Bundesentscheid den dritten Platz. Das ausgezeichnete Konzept: Juden und junge Muslime lernen sich kennen.

Yonatan Weizman leitet das Projekt. Vor zehn Jahren kam er aus Israel nach Berlin. Obwohl aus einem relativ religiösen Elternhaus stammend, spielte der Glaube für ihn nie eine große Rolle. „Hier gehörte ich aber plötzlich zu einer Minderheit, die anderen sahen und sehen mich als Juden, also fühle ich mich auch mehr so“, sagt er.

Mit seiner deutschen Frau und seinem kleinen Sohn feiert er Weihnachten ebenso wie Chanukka, das jüdische Lichterfest. Und er hegt die Hoffnung, dass eines Tages sein Jüdischsein für die Menschen genauso wichtig oder unwichtig ist wie seine Augenfarbe.

Doch weil es immer noch Vorurteile, Unwissen und Berührungsängste gebe, sei „Shalom Rollberg“ enorm wichtig, sagt er. Angesiedelt ist das Projekt beim Verein Morus 14, mitten im Rollbergviertel, in dem fast alle Familien einen muslimischen Hintergrund haben. Erreicht werden seit 2013 rund 200 Kinder und Jugendliche im Jahr.

Für alle ein Gewinn

Etwa 20 jüdische Menschen arbeiten mit, viele kommen aus Israel, andere sind Mitglieder der Berliner jüdischen Gemeinde. „Ich wünschte, von dort kämen noch mehr Unterstützer. Aber auch auf dieser Seite gibt es Vorbehalte und Angst davor, sich im Rollbergviertel zu engagieren“, sagt Susanne Weiß, Geschäftsführerin von Morus 14. Dabei könnten sie ebenfalls profitieren, indem sie positive Kontakte mit Muslimen knüpften. „Mich selbst hat die Arbeit hier total geändert.“

„Shalom Rollberg“ hat drei Säulen: Regelmäßig geht Yonatan Weizman in die Regenbogen-Grundschule an der Morusstraße. Im Fach „Humanistische Weltanschauung“ erzählt er den Viertklässlern etwas über die Grundlagen des Judentums, zum Beispiel, wie viele Feiertage es gibt oder welche Geschenke gemacht werden. Apropos: Dass sich orthodoxe, also strenggläubige Juden nichts zum Geburtstag schenken, mache einige Kinder „sehr traurig“, so Yonatan. Spannend fänden es die muslimischen Grundschüler hingegen, einmal eine Synagoge von innen zu sehen.

Der zweite Teil des Projekts richtet sich an Kinder und Jugendliche. Einmal in der Woche gibt ihnen ein jüdischer Partner Nachhilfe in einem Schulfach. Außerdem ist er Ansprechpartner und Mentor bei allen möglichen Fragen oder Problemen. „Die Teilnehmer lernen andere Lebensentwürfe und sie bekommen etwas, was Kinder überall wollen: Zeit, Aufmerksamkeit und Liebe von Erwachsenen“, so Susanne Weiß.

Last but not least geben jüdische Ehrenamtliche Kurse. Zur Auswahl stehen Yoga, Kunst, Englisch und Kung Fu, wobei Englisch besonders erfolgreich ist. Manchmal bilden sich sogar feste Gruppen, die außerhalb der Kurse gemeinsam etwas unternehmen. „Eine gute Gelegenheit, die Kinder mal aus dem Kiez rauszukriegen“, sagt Weiß.

Gelassener Umgang mit kulturellen Konflikten

Erlebt Yonatan Weizman auch Ablehnung, von Müttern, Vätern oder Kindern? Kaum, sagt er. Er wisse natürlich nicht, wie viele Eltern ihre Töchter und Söhne nicht bei „Shalom Rollberg“ mitmachen ließen. Aber so viele könnten es nicht sein, denn es gebe eine Warteliste. Sätze wie „Die Juden wollen die Welt beherrschen“ oder „Ihr habt unser Land gestohlen“ höre er immer mal wieder. Oft haben die Kinder ihr vermeintliches Wissen aus dem Internet. Aber das nimmt Weizmann gelassen. „Ich freue mich eher darüber, weil wir dann darüber sprechen können“, sagt er.

Er vertrete dabei weder einen Glauben noch den Staat Israel. „Ich kann nur meine Meinung wiedergeben. Ich komme nicht, um ein positives Bild vom Judentum zu zeigen, sondern es geht um gegenseitiges Kennenlernen, um Begegnung.“ Und meistens vergäßen die Kinder sowieso ganz schnell, dass er aus Israel stammt. Dann sei er nur noch Yonatan.

So viel Miteinander und friedliches Nebeneinander verblüfft manchen, der nur zu Besuch in Neukölln ist. So schlenderte Weizman kürzlich mit seinem Sohn singend eine Straße entlang. Ein Frau fragte angesichts des arabisch geprägten Kiezes erstaunt: „Ist das hebräisch?“ Yonatan bejahte. „Jetzt habe ich wirklich alles gesehen“, antwortete die Passantin.

Übrigens hat „Shalom Rollberg“ mit dem Nachbarschaftspreis nicht nur Ehre geerntet, sondern darüber hinaus auch 7000 Euro Förderung bekommen. Das Geld wird in die weitere Arbeit fürs Miteinander gesteckt .

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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