"Hauptsache, nie die Polizei rufen"
Maike Plath hat ein Buch über ihre Erlebnisse an einer Neuköllner Brennpunktschule geschrieben

Maike Plath wechselte 2004 von einer Vorzeigeschule in Schleswig-Holstein in den Brennpunktbezirk Neukölln. | Foto:  Schilp
  • Maike Plath wechselte 2004 von einer Vorzeigeschule in Schleswig-Holstein in den Brennpunktbezirk Neukölln.
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Dieses Buch hat Zündstoff zwischen den Seiten: Maike Plaths „Türwächter:innen der Freiheit“ erscheint am 30. Januar. Ein großer Teil der Handlung spielt an einer Neuköllner Hauptschule. Und dort herrschen zu dieser Zeit schockierende Zustände.

Eine „Dokufiktion“ nennt die Autorin ihr Buch. Sie lässt aber keinen Zweifel daran, dass sich das Allermeiste genau so abgespielt habe, wie erzählt. Es ist Maike Plaths eigene Geschichte. Sie kommt 2004 aus Schleswig-Holstein nach Berlin, um als Deutsch- und Englischlehrerin zu arbeiten, außerdem hat sie eine Zusatzqualifikation im Bereich Darstellendes Spiel. Stellen sind rar gesät, doch in Neukölln wird sie fündig. An der Hauptschule könne sie machen, was sie wolle, erklärt ihr die Schulrätin, wichtig sei nur, nie die Polizei zu rufen.

Der Schreck folgt auf dem Fuße. Die Achtklässler gehen über Tische und Bänke, sind enorm aggressiv, besonders die arabischstämmigen Jungen. An einen normalen Unterricht ist nicht zu denken. Ruhe herrscht nur bei Kollegen wie Herrn Böhm, der die Schüler systematisch erniedrigt („Na Justin, hat deine Alki-Mutter wieder alles vollgekotzt?“, „Selina, willste heute unbedingt noch gebumst werden, das ist ja ne ganze Drogerie, die de dir ins Gesicht geschmiert hast“). Im Lehrerzimmer kommt diese Pädagogik bei den meisten gut an. Wie sonst soll man mit dem „Gesocks“ klarkommen?

Neue Wege

Maike Plath geht neue Wege. Mit Geduld und Beharrungsvermögen, begleitet von unendlich vielen Rückschlägen, bringt sie ihre Schüler zum Theaterspielen. Sie sollen ihre Wut und die erlittenen Demütigungen rauslassen. Langsam werden auch Regeln aufgestellt. Eine der wichtigsten: Jeder hat ein Vetorecht, ohne Angaben von Gründen. Erst wenn es dieses Recht gebe, könne der Einzelne frei überlegen, ob er eine bestimmte Sache tun wolle oder nicht, sagt Plath. „Das längste Veto hielt ein Junge sechs Wochen lang durch. Er beteiligte sich an gar nichts. Erst bei der Generalprobe stellte sich heraus, dass er das gesamte Stück auswendig konnte. Das war wahnsinnig berührend.“

Schritt für Schritt arbeitet sie daran, die Kinder und Jugendlichen in Verantwortung zu bringen, abwechselnd die Chefrolle zu übernehmen, herauszufinden, was sie wirklich wollen, ihr Leben von außen zu betrachten, über Gefühle zu sprechen – auch über schlechte. „Es war mit jeder Gruppe ein harter Anfang, aber hat sich tausendmal ausgezahlt“, so Plath.

2012 die Kündigung

Fünf Jahre lang lässt man sie gewähren, doch langsam dreht sich der Wind. Die neue Schulleiterin stellt sich gegen Plath. Inzwischen wird nicht mehr in der Aula, sondern außerhalb im Neuköllner Heimathafen geprobt. Als sie ein Stück über sexuelle Belästigung zeigen, die ein Mädchen in der Schule erlebt hat, wird Plath kaltgestellt und darf nur noch Vertretungsunterricht geben. Sogar an ihrer psychischen Gesundheit wird gezweifelt. 2012 kündigt sie. Mit zwei gleichgesinnten Frauen führt sie die Theaterarbeit in einem Verein weiter.

Das Buch erzählt eine persönliche Geschichte, die auch die Themen Rassismus, Sexismus und Klassismus im Bildungssystem in den Blick nimmt. Und obwohl es sich leicht und spannend liest, ist es fordernd. Eines der Kernanliegen von Maike Plath ist nämlich, einen Perspektivwechsel bei den privilegierten bürgerlichen „Biodeutschen“ zu bewirken – einen Perspektivwechsel, den sie selbst vollzogen hat.

Weder trocken noch humorlos

Sicher ist: Das Buch ist weder trocken noch humorlos. Maike Plath formuliert lässig-gekonnt, die Dialoge sind oft witzig, viele Geschichten gehen ans Herz. Und die Handlung spielt nicht nur in der Schule. Im Rathaus wird der blonden Fee Tinkerbell ein Besuch abgestattet, unschwer als Franziska Giffey zu erkennen. Es gibt Begegnungen in einem unheimlichen rechten Salon im Grunewald, mit charmanten Clankriminellen und einem Regisseur, der Schwulen-Geschichte geschrieben hat. Und nicht zuletzt wird die Frage geklärt: Kommt es im Berghain tatsächlich zu Sex auf der Tanzfläche?

Maike Plath ist heute einer der Köpfe des Vereins „Act“ und hat bereits mehrere Bücher zum Thema partizipatives Theater veröffentlicht. „Türwächter:innen der Freiheit“ ist ihr erstes belletristisches Werk.

Zu haben ist es beim Selbstverlag BoD, als Hardcover für 34,99 Euro, als Softcover für 18,99 Euro, als E-Book für 14,99 Euro und kostenfrei als Hörbuch auf allen bekannten Podcast-Plattformen. Weitere Informationen gibt es unter www.maikeplath.de.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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