Starke Frauen, viel Müll, keine No-go-Areas
Gesprächsforum im Rathaus über Neuköllner Probleme/ Thema vor allem der Norden

Auf dem Podium saßen Astrid-Sabin Busse, Moderator Hajo Schumacher, Martin Hikel, Sevil Yildirim und Dirk Laube (v.l.). | Foto: Schilp
2Bilder
  • Auf dem Podium saßen Astrid-Sabin Busse, Moderator Hajo Schumacher, Martin Hikel, Sevil Yildirim und Dirk Laube (v.l.).
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

„Neukölln – Probleme und Perspektiven eines Bezirks“, das war der Titel eines Leserforums, zu dem die Berliner Morgenpost am 29. April ins Rathaus geladen hatte. Zentrale Themen waren Müll, organisierte Kriminalität, Bildung und Sicherheit.

Zuerst machte Moderator Hajo Schumacher jedoch „Neuköllns starken Frauen“ seine Aufwartung. Er nannte stellvertretend Tanja Dickert, Leiterin der Touristinformation im Rathaus, Simi Will mit ihrer Kneipen-Talkshow in den Valentin Stüberl („besser als Ina Müller“), Lissy Eichert, Pastoralreferentin der Christophorus-Gemeinde („meine Kandidatin für die erste Päpstin“) und die ehemalige Bürgermeisterin Franziska Giffey, „in die ich sehr verliebt bin“.

Dann wurde es ernst. Auf die Frage, ob die Vermüllung öffentlicher Flächen tatsächlich ein so großes Problem sei, konnte Bürgermeister Martin Hikel (SPD) nur nicken. „Fast nichts bewegt die Neuköllner mehr. Allein an Sperrmüll mussten wir im vergangenen Jahr 11 000 Tonnen abtransportieren“, sagte er. Das Ordnungsamt habe kürzlich neue Mitarbeiter eingestellt, von denen einige auch mit einem Zivilfahrzeug unterwegs seien, um Umweltsündern besser auf die Spur zu kommen.

Illegal entsorgter Sondermüll

Ein besonderer Dorn im Auge seien ihm Firmen, die einfach ihren Bauschutt abladen würden. „Das dauert lange, ihn zu entsorgen, weil erst Proben genommen werden müssen. Bei den Anwohner entsteht dann der Eindruck, wir täten nichts“, so der Bürgermeister. Er forderte unter anderem wesentlich höhere Strafen für die Täter.

Gibt es No-go-Areas in Neukölln, also Orte, die man besser meiden sollte, wollte Schumacher wissen. „Definitiv nicht“, sagte Dirk Laube, Polizeioberrat von der Direktion 55, unter anderem für das Rollbergviertel verantwortlich. Definitiv nicht, meinte auch Hikel, das beweise allein die Tatsache, dass so viele Menschen in den Bezirk zögen. Morgenpost-Reporterin Nina Kugler, die am S-Bahnring wohnt, teilte diese Meinung uneingeschränkt – auch wenn ihre Stuttgarter Eltern sie eindringlich vor Neukölln gewarnt hätten.

Beim Thema „Clankriminalität“ herrschte weniger Einigkeit. Dirk Laube konnte und wollte keine konkreten Zahlen nennen, dafür sei der Begriff zu undefiniert. Den Vorwurf, die Polizei habe jahrelang nicht auf die Machenschaften arabischer Großfamilien reagiert, wies er zurück. Sevil Yildirim, Psychologin und Leiterin des Mädchentreffs Madonna, sieht das anders. Selbst im Rollbergviertel aufgewachsen, habe sie erlebt, wie immer wieder weggeschaut wurde und werde.

Ducken vorm Clannamen

„Kinder und Jugendliche aus diesen problematischen Großfamilien verlassen sich oft auf ihren Nachnamen, drängeln sich überall vor und machen, was sie wollen. Und erst jetzt wird darüber geredet“, sagte sie. Eltern legten oft keinen Wert auf Bildung, besonders bei Mädchen nicht. Apropos Mädchen: Auch unter ihnen gebe es etliche, die gewaltbereit und kriminell seien. Diese Gruppe würde aber eher nicht in Treffs wie das Madonna kommen, deshalb sei aufsuchende Arbeit sehr wichtig, so Yildirim.

Mit diesem Thema kennt sich auch Astrid-Sabine Busse, Leiterin der Grundschule an der Köllnischen Heide, aus. Rund 80 Prozent ihrer Schüler haben arabische Wurzeln. Alle Kinder hätten den Willen zu lernen, Schule könne aber nur zu 25 Prozent zum Bildungserfolg beitragen, betonte sie. Sie würde gerne mehr tun: „Manchmal wünschte ich mir einen Internatsbetrieb von montags bis freitags“, sagte sie. Außerdem sei sie eine Befürworterin von Gemeinschaftsschulen, in denen die Kinder von der ersten bis zur zehnten Klassen zusammenbleiben. „Es ist oft ein großes Problem, sie an Oberschulen abzugeben.“

Ihr Hauptproblem: zu wenig gut ausgebildetes Personal. Immerhin hätte inzwischen ein Drittel der Pädagogen an der Köllnischen Heide selbst einen Migrationshintergrund, das helfe sehr. „So erfahren wir manchmal erst, wie die Eltern über uns denken und das ist nicht immer schön“, sagte sie.

Persönliche Sorgen weichen ab

Nach den Gesprächen auf dem Podium wurden Fragen und Meinungen der Besucher gesammelt. Vielen brannten ganz andere Themen auf den Nägeln. Harsche Kritik kam beispielsweise von einem Rudower, der sich gegen die geplante Wohnbebauung des Mettefeldes richtete (Näheres zu diesem Thema lesen Sie in unserer kommenden Ausgabe). Martin Hikel sagte, im ganzen Bezirk könnten bis zum Jahr 2030 rund 7500 Wohnungen entstehen, das sei nicht viel. „Wir dürfen uns nirgends grundsätzlich dem Neubau verweigern“, sagte er.

Eine Neuköllnerin beklagte die große Konzentration von Shisha-Bars an der Sonnenallee, ein Bewohner der Gropiusstadt den immer stärkeren Verkehr auf der Fritz-Erler-Allee. „Unsere Nachtruhe dauert höchstens drei Stunden“, sagte er. Die Polizei forderte er auf, ein größeres Augenmerk auf die Neuköllner Straße zu legen, wo häufig Autorennen stattfänden. Ein anderer beklagte die zunehmende Rücksichtslosigkeit Radfahrern gegenüber, er werde fast täglich von Autofahrern beschimpft.

Auf dem Podium saßen Astrid-Sabin Busse, Moderator Hajo Schumacher, Martin Hikel, Sevil Yildirim und Dirk Laube (v.l.). | Foto: Schilp
Auf dem Podium saßen Nina Kugler, Astrid-Sabin Busse, Moderator Hajo Schumacher, Martin Hikel, Sevil Yildirim und Dirk Laube (v.l.). | Foto: Schilp
Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

25 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 181× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 138× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 189× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.524× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.