"Einseitige Deutungen reichen nicht"
Neuköllner Grüne fordern bei der Aufarbeitung des Kolonialismus neue Gedenkkultur

Die Tafel auf dem Stein erinnert an die deutschen "Helden", die schwarze Tafel an ihre Opfer. | Foto: Schilp
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Das Schlagwort lautet „Decolonize Neukölln“: Hundert Jahre nach Ende des Kaiserreichs und des deutschen Kolonialismus fordern die Grünen, diese geschichtliche Epoche kritisch aufzuarbeiten. Unter anderem wollen sie eine Umbenennung der Woermannkehre in Britz erreichen. Das hat der Kreisverband am 1. Oktober einstimmig beschlossen.

Vielen ist gar nicht bewusst, dass Deutschland zwischen 1884 und 1919 Kolonien in Afrika hatte, nämlich Deutsch-Südwestafrika (heute: Namibia), Togo, Kamerun sowie Deutsch-Ostafrika (auf dem Gebiet des heutigen Tansania, Burundi und Ruanda).

Der Kaufmann und Reeder Adolph Woermann (1847–1910) war einer der Profiteure. Er baute die „Woermann-Linie“ auf, eine Schiffsverbindung zwischen Deutschland und Westafrika. Als überzeugter Befürworter des Kolonalismus war er bekannt für die Brutalität seiner privaten „Schutztruppen“ und für die Ausbeutung der Arbeiter, sowohl auf seinen Kameruner Plantagen als auch in einem Zwangsarbeitslager in Südwestafrika.

„Dass Neukölln Woermann heute noch immer mit einem Straßennamen würdigt, ist ein unhaltbarer Zustand“, heißt es in der Erklärung der Grünen. Sie wollen, dass die Straße nach einer afrikanischen oder schwarzen deutschen Person des antikolonialen oder antirassistischen Widerstands benannt wird. Auch solle eine erläuternde Texttafel aufgestellt werden.

Kriegsverbrechen aufzeigen

Zudem fordern sie die Umgestaltung des Ehrenmals auf dem Garnisonsfriedhof am Columbiadamm. Dort gibt es einen großen Stein, der an sieben Berliner Soldaten erinnert. Sie hatten sich freiwillig an der Niederschlagung des sogenannten Herero-Aufstandes (1904–1908) beteiligt – für viele Historiker der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Damals erschossen Kolonialkrieger Zehntausende von Herero und Nama. Menschen, die verzweifelt in die Wüste flüchteten, vertrieben sie von den Wasserstellen, so dass sie verdursteten.

Zwar gibt es nach einem Beschluss der Bezirksverordneten seit 2009 eine ergänzende Gedenkplatte vor dem Stein. Sie hat die Umrisse von Namibia und erinnert an die „Opfer der deutschen Kolonialherrschaft“. Doch das reicht den Grünen nicht. Die Tafel sei zu klein, weder der Völkermord noch die Anzahl der Getöteten werden erwähnt. Auch das Zitat von Wilhelm von Humboldt – „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“ – sei zu allgemein und dem grausamen Geschehen nicht angemessen.

Vor allem Täter geehrt

„An dieser Stelle werden immer noch vor allem die Täter und nicht die afrikanischen Opfer geehrt“, sagt Philmon Ghirmai, Sprecher der Neuköllner Grünen. Dass Nationalisten hier bis heute Kränze niederlegten, spreche eine deutliche Sprache.

Wiederholt hätten auch Nachfahren von getöteten Herero und Nama Kritik an dem Gedenkensemble geäußert. Sie müssten auf jeden Fall in eine Umgestaltung einbezogen werden. „Für uns ist klar: Die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit kann nur gelingen, wenn die gemeinsame Geschichte auch gemeinsam erinnert wird. Einseitige Deutungen, wie sie bisher vorgenommen wurden, reichen nicht aus", so Ghirmai.

Demnächst wollen die Grünen ihr Anliegen der Bezirksverordnetenversammlung zur Diskussion vorlegen. Eine ähnliche Forderung hat bereits Gehör gefunden. Im Frühjahr 2018 wurde beschlossen, einen „Dialogprozess“ mit den Anwohnern der Wissmannstraße auf den Weg zu bringen – mit dem Ziel der Umbenennung. Hermann von Wissmann (1853–1905) war Reichskommissar und Gouverneur von Deutsch-Ostafrika. Er hatte den Auftrag, „geordnete politische Verhältnisse“ in die Kolonie zu bringen und war dafür verantwortlich, dass die deutsche Armee viele Einheimische massakrierte, die sich gegen die fremden Besetzer wehrten.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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