Ärger über das Bezirksamt
Grünen-Politikerin macht sich für Queerbeauftragten stark
Was tut der Bezirk, um queeres Leben fördern und Übergriffe zu verhindern? Das wollte die Neuköllner Abgeordnete Anja Kofbinger (Grüne) in einer parlamentarischen Anfrage wissen. Mit den Antworten ist sie allerdings nicht zufrieden.
Der jüngte Fall liegt erst ein paar Tage zurück. Am 12. April wurde ein 32-Jähriger am Alfred-Scholz-Platz von einem Mann zusammengeschlagen. Der Grund: Er hatte auf eine Frage hin bestätigt, dass er homosexuell sei.
Angezeigt wurden in Neukölln im vergangenen Jahr 21 Angriffe auf queere Personen – also auf Lesben, Schwule, trans- und intersexuelle Menschen. Die Polizei schätze die Dunkelziffer aber auf das Acht- bis Zehnfache, so Kofbinger. Schauplatz der verbalen und körperlichen Attacken seien in erster Linie die Kieze rund um die Sonnenallee, die Hermann- und die Karl-Marx-Straße.
Kampagne für Schutzräume fremdfinanziert
In der Antwort des Senats auf ihre Anfrage wird auf Äußerungen des Bezirksamts verwiesen. Das teilt unter anderem mit, dass 2019 „unter Mitwirkung des Integrationsbeauftragten“ ein Sticker mit dem Slogan „Sicherheit – Geborgenheit – Neukölln“ entwickelt worden sei. Darauf sind drei Personen unter einem schützenden Dach zu sehen: eine Frau mit Schleier, eine ohne, in der Mitte ein Mensch in Regenbogenfarben. Rund 100 Geschäftsleute an der Sonnenallee hätten den Sticker inzwischen an ihre Schaufenster geklebt. Damit signalisierten sie, Zuflucht in bedrohlichen Situationen zu bieten, sagt Anja Kofbinger.
Es sei jedoch „schlicht eine Frechheit“, dass sich das Bezirksamt mit dieser Aktion schmücke. Entwickelt und bezahlt worden seien die Sticker von anderen: nämlich von ihr selbst, ihrer Abgeordneten-Kollegin Susanna Kahlefeld, Geschäftsleuten, Aktiven aus der queeren Szene und dem Moscheeverein Neuköllner Begegnungsstätte.
Dass die Moschee mit ihrem Imam Mohmed Sabri mit dabei ist, hält Kofbinger für ganz besonders wichtig. Denn oft seien es muslimische Jugendliche, die queere Menschen angriffen. Ihnen müsse ganz deutlich gesagt werden, dass ein aggressives und diskriminierendes Verhalten nicht geduldet werde. Wenn das auch in der Moschee passiere, sei das viel wert.
Zuständigkeit beim Bezirk
Die Antworten auf ihre Anfrage halten ein weiteres Ärgernis für die Politikerin bereit: Schon vor zwei Jahren haben die Bezirksverordneten sich mehrheitlich für einen Queer-Beauftragten ausgesprochen. Das Bezirksamt möchte jedoch, dass die Stelle vom Senat finanziert wird. „Seit wann gibt der Senat Geld für Bezirksbeauftragte? Dafür ist er explizit nicht zuständig“, so Kofbinger.
Für den Doppelhaushalt 2020/21 habe jeder Bezirk rund 50 Millionen zusätzliche Mittel bekommen, damit sei eine solche Stelle im Prinzip gut bezahlbar. „25, 30 Wochenstunden und man könnte sie gut mit einem anderen Aufgabenbereich kombinieren.“ In Tempelhof-Schöneberg zum Beispiel ist Svetlana Linberg die „Beauftragte für queere Lebensweisen und gegen Rechtsextremismus“. Lichtenberg will in Kürze als zweiter Berliner Bezirk eine entsprechende Stelle einrichten.
Allerdings verschließt Anja Kofbinger die Augen nicht vor der aktuellen Situation. Die Corona-Krise sorge dafür, dass das Geld nun dringend woanders gebraucht werde, räumt sie ein. „Doch das ändert nichts daran, dass ich es als Aufgabe betrachte, in diesem Jahr das Thema Queerbeauftragte in den Bezirken anzuschieben.“
Gewalt im Fokus
Was sind die Aufgaben einer oder eines solchen Beauftragten? „Mit allen kommunizieren, die sich mit dem Thema beschäftigen, Veranstaltungen machen, Veranstaltungen besuchen, als Vertreter in der Öffentlichkeit sichtbar sein, das Anliegen in die Verwaltung tragen, dorthin gehen, wo es wehtut“, so Kofbinger.
Sie rechnet nicht damit, dass es in dieser Legislaturperiode noch etwas wird mit einem Queerbeauftragten in Neukölln. Sie wolle aber alles tun, damit besonders das Thema Gewalt stärker in den Fokus rückt. „Betroffene sollten Beleidigungen und Tätlichkeiten unbedingt anzeigen, wir brauchen verlässliche Zahlen“, sagt sie. Außerdem wünscht sie sich mehr Studien zur Entstehung von Gewalt. Aufklärung und Prävention müsse schon in der Kindheit beginnen. „Wenn jemand erwachsen ist und immer noch doof, dann ist es zu spät.“
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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