Der Verein Mein Grundeinkommen hat wieder Gewinner gezogen
1000 Euro monatlich, bedingungslos, für ein Jahr

Meera Zaremba (links) hatte die Freude, im Vollguten Gemeinschaftsgarten an der Werbellinstraße die Gewinner zu verkünden. | Foto: JoM
  • Meera Zaremba (links) hatte die Freude, im Vollguten Gemeinschaftsgarten an der Werbellinstraße die Gewinner zu verkünden.
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Bei der "Verlosung of Love" des Neuköllner Vereins Mein Grundeinkommen am 9. Juli haben wieder zehn Menschen ein Grundeinkommen gewonnen. Ab August bekommen sie ein Jahr lang monatlich 1000 Euro, bedingungslos. Was macht das mit einem?

Als der Verein Mein Grundeinkommen 2014 mit seiner Arbeit begann, war der Erfolg noch nicht absehbar. Gründer Michael Bohmeyer hatte durch ein eigenes Internetunternehmen selbst erfahren, wie es ist, über ein bedingungsloses Einkommen zu verfügen. Nach seinem Ausstieg bei der Firma bekam er nämlich weiterhin regelmäßige Gewinnausschüttungen. Genug zum leben. Und genug, um auch beruflich seinem Idealismus zu folgen. Mit dem Verein will er anderen Menschen das auch ermöglichen.

Das Prinzip: Über Crowdfunding wird so lange Geld gesammelt, bis 12 000 Euro zusammengekommen sind. Diese werden verlost und dem Gewinner dann ein Jahr lang in monatlichen Raten als Grundeinkommen ausgezahlt. Mittlerweile sind über eine Million Nutzer auf der Vereinshomepage angemeldet. Rund 100 000 Groß- und Kleinspender finanzieren circa alle drei Tage eine weitere Ausschüttung. Mit seiner Arbeit will der Verein zeigen, welche Veränderungen ein bedingungsloses Grundeinkommen in Menschen anstoßen kann und so einen Beitrag zur politischen Diskussion darüber leisten.

Chance auf Selbstverwirklichung

Die ist seit Jahren im Gange. Würde ein Grundeinkommen die Chancen neu verteilen, so dass auch ärmere Menschen sich verwirklichen könnten? Oder würde es massenhaft Sozialschmarotzer produzieren? Wie viele Menschen dem Grundeinkommen positiv gegenüberstehen, schwankt – je nachdem, ob Vor- oder Nachteile bei einer Umfrage betont werden. Grob gerechnet steht die Hälfte der Deutschen der Idee positiv gegenüber, darunter auch Ökonomen wie der Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm, Götz Werner.

Für Meera Zaremba, Campaignerin bei Mein Grundeinkommen, ist diese Sympathie nur logisch. Sie hat an renommierten Universitäten in Düsseldorf und London studiert und stand dennoch – wie so viele – nach dem Studium plötzlich vor Existenzängsten. "Ich wollte eigentlich die Welt verändern, nicht in der Politikberatung landen und etwa Pharmakonzernen einen einfachen Zugang zum deutschen Markt ermöglichen", sagt sie. Sie hatte viele Ideale, was und wie sie arbeiten wollte, viel in ihre Ausbildung investiert. Am Ende musste einfach Geld her.

Leidenschaft statt Angst

Sich auf dem Arbeitsmarkt verkaufen zu müssen, empfand Zaremba als bedrückend. Dabei ginge es nicht um persönliche Potenziale und Themen, für die jemand brennt, sondern darum, sich möglichst gut anzupassen. Das lähmte sie. "Und genau deshalb", sagt sie, "bin ich für ein Grundeinkommen, das bedingungslos ist." Wenn die Angst, die Rechnungen nicht bezahlen zu können, wegfiele, entstünde plötzlich die Freiheit, Leidenschaften zu folgen, statt bloß Geld verdienen zu müssen.

"Wenn ich Nein sagen kann, bekommt das Ja eine neue Qualität", schrieb Gründer Michael Bohmeyer Anfang des Jahres bei Zeit Online. Er geht davon aus, dass die relative finanzielle Sorglosigkeit, die durch ein Grundeinkommen entsteht, den Fokus der Menschen verschiebt: weg von Stress und Druck hin zum Spaß am Tun. Die Gewissheit darüber zieht er aus Erfahrungen im Projekt. Viele Menschen, die ein Grundeinkommen gewonnen haben, berichteten, motivierter und sogar produktiver zu arbeiten.

Beim Stöbern in den Profilen der bisherigen Gewinner ergibt sich vor allem ein Bild: Ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht Menschen Dinge von persönlicher Wichtigkeit, die sonst an den Finanzen scheitern – sei es ein Familienurlaub, eine teure Fortbildung, Verwandte zu unterstützen oder an sozialen und kreativen Projekten zu arbeiten.

Finanzielle Achterbahn

Für Inga und Josias Scharf war es eine große Erleichterung, als ihr Sohn Apuan vor Kurzem das Grundeinkommen gewann. Erst seit Mai können die beiden Kunstschaffenden mit dem zusätzlichen Geld rechnen. Verändert hat es aber schon viel. "Als Künstler lebt man finanziell in einer Achterbahn", sagt Josias Scharf. Teils könne man viel, teils nur sehr wenig Geld verdienen. Nicht immer habe sich die Familie gut finanzieren können. Und trotzdem: Daran, den Beruf aufzugeben, möchten die Scharfs nicht denken.

Der Zugewinn kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Gerade steht Apuan vor dem Wechsel in die Oberschule. Er hat von dem Geld erst einmal einen eigenen Computer bekommen. Langfristig möchte er sich einen Gaming-Kanal auf Youtube aufbauen. "Daran lernt er ja auch viel, über Technik und soziale Medien", erklärt Josias Scharf den Bildungsanspruch. "So habe ich meine Eltern überzeugt", grinst Apuan.

Inga Scharf, die gerade am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt Universität promoviert, sieht den Gewinn auch als Experiment. Sie ist gespannt, wie sich das Grundeinkommen auf die Familie auswirken wird. "Zuerst hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen des Geldes. Wir arbeiten ja nicht mehr", sagt sie. Ist es in Ordnung, das Geld der Gemeinschaft anzunehmen, um das eigene Leben zu verbessern – ohne klare Gegenleistung? "Durch das Grundeinkommen habe ich realisiert, wie schnell wir anfangen, uns zu rechtfertigen, wenn wir nach unseren Wünschen leben", sagt Inga Scharf. Und auch, dass es gut sei, das zu hinterfragen.

Autor:

Josephine Macfoy aus Schöneberg

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