Endlich wieder frei
Wie erlebten NS-Zwangsarbeiter das Kriegsende in Berlin?

Historikerin Christine Glauning an der Karte der bereits bekannten Zwangsarbeiterunterkünfte. | Foto: Ralf Drescher
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Vor 75 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. In Berlin bedeutete das für rund 500 000 zur Zwangsarbeit verschleppte Ausländer das Ende ihrer Gefangenschaft.

Anfang Februar hatten sowjetische Truppen bei Küstrin die Oder erreicht und befanden sich damit in Luftlinie noch 85 Kilometer von Berlin entfernt. Drei Monate später war der Krieg beendet. Die Zwangsarbeiter, die in den damaligen Bezirken Treptow und Köpenick unter anderem bei AEG, Deutscher Reichsbahn und Pertrix-Batteriefabrik Sklavenarbeit leisten mussten, waren frei. „Die ersten Tage und Wochen sind bisher nur wenig dokumentiert. Blieben die Ausländer vorerst in ihren Unterkünften? Wie haben sie sich ohne Lebensmittelkarten verpflegt? Wie war das Verhältnis zu den Anwohnern?“ Diese Fragen stellt jetzt Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit.

Möglich ist auch, dass es Auseinandersetzungen mit Berlinern gab oder sich Zwangsarbeiter in ihrer Not in den ersten Tagen nach Kriegsende einfach Lebensmittel und Kleidung genommen – sprich gestohlen – haben. „Es gibt ja nur noch wenige Menschen, die diese Zeit bewusst erlebt haben. Selbst wenn sie am Kriegsende zehn oder zwölf Jahre alt waren, sind sie heute schon Mitte 80. Wir haben jetzt eine der letzten Chancen, diese Menschen nach ihren Erlebnissen zu befragen“, sagt Christine Glauning.

In einem Ausstellungsraum des bis Kriegsende zur Unterbringung von Zwangsarbeitern und internierten italienischen Soldaten genutzten Areals hängt eine Berlin-Karte. Dort sind die bekannten Standorte von berlinweit rund 1400 Zwangsarbeiterunterkünften markiert. Am Kriegsende soll es bis zu zu 3000 Sammelunterkünfte gegeben haben. In Barackenlagen, Lagerräume von Betrieben und selbst in Tanzsälen von Gartenlokalen. In einer jetzt online gestellten Internetdatenbank sind die bekannten Standorte, darunter auch 130 im jetzigen Bezirk Treptow-Köpenick, verzeichnet.

„Immer wieder weisen uns Besucher auf weitere Orte hin, an denen Zwangsarbeiter untergebracht waren. Für neue Hinweise wären wir sehr dankbar“, sagt Christine Glauning. Geschaffen wurde die Datenbank mit den Adressen der Unterkünfte im Rahmen der Zwangsarbeiterentschädigung. Da Betriebsausweise oder Arbeitspapiere nach 1945 oft verlorengegangen waren, musste der Nachweis über einen bestimmten Aufenthaltsort oft als Ersatz dienen, um Ansprüche an den deutschen Staat glaubhaft zu machen.

Wer Hinweise zu Zwangsarbeiterunterkünften hat oder als Zeitzeuge von der Auflösung der Lager oder der Heimkehr ihrer Bewohner berichten kann, meldet sich bitte beim Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Britzer Straße 5. Geöffnet ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, Telefon 63 90 28 80, www.ns-zwangsarbeit.de.

Historikerin Christine Glauning an der Karte der bereits bekannten Zwangsarbeiterunterkünfte. | Foto: Ralf Drescher
In den Baracken an der Britzer Straße waren bis 1945 Zwangsarbeiter untergebracht. | Foto: Ralf Drescher
Autor:

Ralf Drescher aus Lichtenberg

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