"Ich darf stolz auf meine Kraft sein"
Im Roten Rathaus wurden Mitte Mai pflegende Angehörige für ihr Engagement ausgezeichnet

Seit 30 Jahren pflegt Jochen Springborn seine an MS erkrankte Frau Anke. | Foto:  Christian Hahn
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  • Seit 30 Jahren pflegt Jochen Springborn seine an MS erkrankte Frau Anke.
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Der größte nationale Pflegedienst ist und bleibt die Familie. Denn vier von fünf Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt – zumeist durch Angehörige. Deren Zahl in Berlin wird derzeit auf bis zu 200.000 geschätzt. Die „Woche der pflegenden Angehörigen“ (WdPA) mit dem Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte als Träger hat es sich zum Ziel gesetzt, die Arbeit der Pflegenden sichtbar zu machen.

Unter anderem durch die regelmäßige Verleihung von Pflegebären als wertschätzende Auszeichnung für ein individuelles Engagement, das häufig unsichtbar bleibt. „Für mich war die Pflege eigentlich immer ganz normale Verpflichtung“, sagt Jochen Springborn, einer der zehn Preisträger der diesjährigen Pflegebären. Als seine Frau Anke 1992 die Diagnose Multiple Sklerose bekam, konnte er noch nicht ahnen, welche Herausforderungen auf ihn zukommen sollten. Der heute 53-jährige Ingenieur stellte seinen Arbeitsalltag sofort auf den Alltag seiner hilfsbedürftigen Frau um, verband Beruf und Pflege, so gut es ging.

"So kann es nicht weitergehen"

Mit der Verschlechterung des Gesundheitszustands der seit 2001 an den Rollstuhl gebundenen Frau stieg parallel zum Grad der Pflegestufen auch die Belastung für Jochen Springborn – allerdings unmerklich. „MS schreitet schleichend voran. Die allmählich nachlassenden Fähigkeiten von Anke habe ich ganz automatisch mit übernommen und für mich kaum die zunehmende Belastung wahrgenommen“, erinnert sich Jochen Springborn. „Irgendwann wusste ich aber nicht mehr, ob ich neben meiner Arbeit noch Pfleger war oder neben der Pflege gearbeitet habe.“ Vor sieben Jahren kam dann der Zusammenbruch und in der folgenden monatelangen Auszeit wurde Jochen Springborn klar, dass es so nicht weitergehen konnte.

"Noch vieles im Argen"

Er änderte seinen Lebensstil, begann im Sinne der Stressreduzierung den ÖPNV zu nutzen und Rad zu fahren, schuf ein Netzwerk aus Freunden und Verwandten, die ihm heute zur Seite stehen. Werktags ist nun ganztägig ein Pflegedienst im Einsatz, dazu an Wochenenden morgens und abends. „Es ist wichtig zu erkennen, dass man Hilfe braucht, und die dann auch annimmt“, erklärt Jochen Springborn. Heute kann der stellvertretende Abteilungsleiter einer kirchlichen Schulstiftung Arbeit und Pflege besser miteinander verbinden. „Denn je besser es mir geht, desto mehr Kraft und Energie kann ich für meine Frau einsetzen.“ Gleichwohl liege noch vieles im Argen, was die allgemeine Situation pflegender Angehöriger betreffe, meint Jochen Springborn. Beginnend bei teils mangelnder Barrierefreiheit im öffentlichen Raum, fehlenden Plätzen in der Kurzzeitpflege, bürokratischen Hürden bei der Beantragung und Bewilligung von Leistungen oder steigendenden Pflegekosten bei gleichbleibenden Leistungen der Pflegekassen, was eigentlich eine dynamische Anpassung der Mittel nötig mache.

Christian Pälmke ist Mitorganisator der Woche der Pflegenden Angehörigen. | Foto: WdPA
  • Christian Pälmke ist Mitorganisator der Woche der Pflegenden Angehörigen.
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Diese und andere Kritikpunkte waren im Rahmen der „Woche der pflegenden Angehörigen“ Gegenstand eines pflegepolitischen Dialogs im Abgeordnetenhaus. Sie sind auch Thema von Christian Pälmke von der Fachstelle für pflegende Angehörige und Mitorganisator der Aktionswochen. „Wir arbeiten daran, die vielfältigen Herausforderungen der pflegenden Angehörigen und deren Leistung für die Gesellschaft mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen. Angefangen haben wir vor zehn Jahren mit 600 Beteiligten, einige Jahre später waren es bereits 1500. Die ‚Woche der pflegenden Angehörigen‘ ist mittlerweile eine Berliner Tradition, die immer mehr Menschen erreicht.“

Jochen Springborn wurde Mitte Mai einer von zehn Berliner Pflegebären verliehen. Auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gratulierte dem diesjährigen Preisträger.  | Foto:  Christoph Eckelt
  • Jochen Springborn wurde Mitte Mai einer von zehn Berliner Pflegebären verliehen. Auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gratulierte dem diesjährigen Preisträger.
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Jochen Springborn hatte vor fünf Jahren vom WdPA-Projekt gehört und wurde von Bekannten zur Nominierung vorgeschlagen. Sein Credo: „Der Preis zeigt mir, dass ich gesehen werde und auf meine Kraft stolz sein darf.“ Und woher nimmt er diese Kraft? Das beantworteten Mitglieder der legendären Rockband Silly in ihrer Laudatio auf Jochen Springborn mit einem Satz, der schon bei seiner Heirat mit Anke als Leitspruch diente: „Liebe ist die Kraft, der Gegenwart gerecht zu werden.“

Veranstaltungen im Rahmen der dies-jährigen „Woche der pflegenden Angehörigen“ finden noch bis Anfang Juli statt. Das Programm steht auf woche-der-pflegenden-angehoerigen.de. Weitere Informationen über den E-Mail-Kontakt info@woche-der-pflegenden-angehoerigen.de oder unter Tel. 61 20 24 99.

Autor:

Michael Vogt aus Prenzlauer Berg

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