Geld regiert die (Fußball)Welt: Ohne finanzielle Anreize geht in unteren Ligen nichts
Reinickendorf. Der Amateurfußball verändert sich: Noch vor zehn Jahren haben Spieler im Schnitt 7,8 Jahre für einen Verein gespielt – heute sind es nur noch 2,9. Dass selbst in unteren Ligen Geld gezahlt wird, ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Doch dieses Geld müssen Vereine erst einmal einnehmen. Einer, der den Finger stets in diese Wunde legt, ist Sascha Krakowski, sportlicher Leiter beim Landesligisten VfB Hermsdorf. Berliner Woche-Reporter Michael Nittel sprach mit Krakowski ihm über seine Erfahrungen.
Sie mahnen diese Entwicklung seit Jahren an. Was befürchten Sie?
Sascha Krakowski: Wenn man sich diesen – ich nenne ihn mal – Amateur-Markt Woche für Woche anschaut, da kann einem Angst und Bange werden. Immer mehr durchschnittlich talentierte Fußballer wollen und bekommen immer mehr Geld. Diese Spirale dreht sich immer weiter. Und das ist für jeden Verein und damit den Berliner Fußball kreuzgefährlich. Diese Blase muss ja irgendwann platzen. Was im Berliner Fußball so alles passiert, glaubt Dir niemand.
"Jeder Knallfrosch glaubt, er sei eine Rakete"
Was passiert denn so?
Sascha Krakowski: Gegenwärtig bekommt man Anfragen von diversen Spielern, oft mit tollen Youtube-Videos mit ausgewählten Spielszenen. Wenn man den Bewerber dann freundlich zu einem Sichtungstraining einlädt, gleicht das einer Majestätsbeleidigung. Wir reden hier nicht von einer Verrohung der marktüblichen Verhandlungen über einen ganzen Generationszeitraum hinweg. Das eskaliert seit ca. fünf Jahren stetig. Das ist schon ein Paradigmenwechsel. Uns ist bewusst, dass Angebot und Nachfrage den Markt regulieren und dass im Profifußball viel größere Mengen an Geld den Sport bestimmen. Aber dort sind es gegenfinanzierte Summen. Im Amateurbereich sind diese künstlichen Steigerungen eher ein Produkt mangelnder Selbstreflexion, Panik und fehlender Identifikation mit dem Vereinssport. Qualität hat Ihren Preis, das war schon immer so und ist auch legitim. Aber der durchschnittlich talentierte Fußballer im Amateurbereich versucht zunehmend, aus dem Hobby ein zweites Einkommensstandbein zu machen. Statt Teamgeist sind es nur Egoismen, die bedient werden – leider auch von den Vereinen. Vornehmlich prangere ich die 18-23-Jährigen an, die – kaum aus der Jugend in den Männerbereich gewechselt – finanzielle Forderungen proklamieren, die in keinem Verhältnis stehen. Da glaubt jeder Knallfrosch, er sei eine Rakete. Sportliche Ziele werden gar nicht erfragt, lediglich Summe X wird abgeklopft. Es besteht auch keine Bereitschaft zur Kompromissfindung. Ich breche an diesen Stellen die Gespräche meist ab.
Welche Summen werden denn zum Beispiel in der höchsten Berliner Spielklasse gezahlt?
Sascha Krakowski: Ambitionierte Vereine zahlen an einzelne Spieler im Monat auch schon mal vierstellige Beträge. Ich gehe davon aus, dass unter 250 Euro pro Monat niemand mehr neu unterzeichnet. Das ist im Schnitt eine Belastung für einzelne Vereine in Höhe von 4000 bis 4500 Euro im Monat. Wir reden also über knapp 50 000 Euro im Jahr, die allein der Unterhalt einer Mannschaft kostet. Das sind Summen, die man mit Zuschauereinnahmen oder Mitgliedsbeiträgen nicht gegen finanzieren kann. An die Richtwerte des Verbandes hält sich seit Langen kaum noch jemand. Im Norden Berlins gibt es lobende Beispiele wie die Füchse, den Nordberliner SC, den 1. FC Lübars: Bei denen agieren die handelnden Funktionäre loyal und kooperativ. Doch solange wir die schwarzen Schafe weiter durch Zahlungen unterstützen, wird sich weder etwas ändern noch dürfen wir als Moralapostel mit erhobenem Zeigefinger agieren.
"Klubs und Sponsoren wollen den kurzfristigen Erfolg"
Aber warum spielen Vereine dieses Spiel mit?
Sascha Krakowski: Es gibt Klubs und Sponsoren, die wollen den kurzfristigen Erfolg. Und dafür sind sie zu nahezu allem bereit. Getreu dem Motto: Wenn der Erfolg da ist, kommt auch das Geld. Deshalb verlassen in der Sommerpause nicht wie früher nur zwei oder drei Spieler einen Klub – nein, ganze Mannschaften werden ausgetauscht. Und die Spieler, die den Klub wechseln, sind durch das System so versaut, dass sie bei ihrem neuen Verein keine finanziellen Abstriche machen wollen. Und das ist die Spirale, die sich munter weiter dreht, und immer mehr Spieler und damit auch immer mehr Vereine erfasst.
Kann man sich als Verein diesem System überhaupt entziehen?
Sascha Krakowski: Nein! Aber man kann versuchen, der eigenen Vereins-Philosophie und dessen Geschichte treu zu bleiben. Also lieber mal deutlich nein sagen und gute Reise wünschen. Wir haben doch auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag: Wertevermittlung, Unterstützung in der Persönlichkeitsbildung, Vereinsleben. Bei den Ablösen haben wir beim VfB Hermsdorf auch in diesem Jahr wieder keinen Euro mehr ausgegeben als wir eingenommen haben. Unser Modell für den Unterhalt der Männermannschaft ist sicher nicht für jeden sexy, aber wer sich davon überzeugen lässt, der bereut diese Entscheidung selten. Und wenn unser Abstieg aus der Berlin-Liga wirklich etwas Gutes hatte, dann die Tatsache, dass wir nun die Möglichkeit haben, eigene A-Jugendspieler viel besser ins Herrenteam integrieren und ihnen viel Spielpraxis geben zu können.
Autor:Michael Nittel aus Reinickendorf |
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