„Vielleicht schießen sie doch“
Nach langem Kampf durfte Sylke Bach im Austausch gegen einen DDR-Spion zum Ehemann in den Westen

Es geht nicht nur bunt: Sylke Bach porträtiert Hilde Knef, Harald Juhnke oder aktuell Günter Pfitzmann in Schwarz-Weiß-Dunkelbau.  | Foto: Foto: Ulrike Martin
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„In den Osten fahre ich nicht gerne, kein Interesse.“ Sylke Bach, Künstlerin aus Rudow, hat dafür gute Gründe. Aufgewachsen in Treptow-Baumschulenweg, hat sie von Kindheit an unangenehme Erfahrungen mit der Stasi gemacht.

Schon vor ihrer Geburt 1965 gab es in Bachs Familie ein einschneidendes Ereignis. Onkel und Tante arbeiteten im Westteil der Stadt und kamen am Tag des Mauerbaus nicht mehr zurück nach Hause. „Meine Oma wusste wochenlang nicht, was mit ihren Kindern war.“

Westverwandtschaft war zu Ost-Zeiten so etwas wie ein Stigma und ging mit der ständigen Beobachtung durch die Stasi einher. Einmal war in einem der Päckchen aus dem kapitalistischen Ausland eine Jeans-Latzhose, auf die die kleine Sylke sehr stolz war. Dafür wurde sie in der Schule gemaßregelt und die Lehrerin meldete den Vorfall beim Arbeitgeber ihres Vaters. Warum das Kind Arbeitshosen aus Amerika trage, das ging gar nicht. Die Verhältnisse waren belastend, Bach versuchte, das Negative auszublenden. Dabei geholfen hat ihr die Liebe zur Malerei, sie belegte schon früh Kurse in der Kunsthochschule Weißensee.

Kein Abitur wegen West-Verwandtschaft

Abitur durfte Bach nicht machen, dagegen stand nicht nur die West-Verwandtschaft. Den Machthabern war außerdem ein Dorn im Auge, dass sich ihr Vater weigerte, Parteimitglied zu werden oder für die Staatssicherheit zu arbeiten. Bach entschied sich für eine Ausbildung als Maskenbildnerin und erlebte die nächste Enttäuschung: „Es hieß, Maskenbildner kämen auch mal ins Ausland und bei mir bestünde Fluchtgefahr.“ Schließlich erlernte sie den Beruf der Elektrozeichnerin.

Einen Ausreiseantrag zu stellen, kam ihr nie in den Sinn, aufgrund ihrer Erfahrungen sah sie keinerlei Chancen auf Erfolg. Das änderte sich, als ein Großonkel aus Bamberg ihr im Herbst 1987 eine Einladung zu seinem 75. Geburtstag schickte – damit wäre ein Aufenthalt von einigen Tagen im Westen möglich gewesen. Bach war inzwischen verheiratet und hochschwanger. „Ich wollte mir den Stress mit den ganzen Formalitäten nicht antun“, sagt sie. Aber zumindest ihr damaliger Mann sollte fahren und „drüben“ bleiben können.

Ein Trick half: „Wir wussten, dass die Stasi keinerlei Dokumente zu Verwandtschaftsverhältnissen aus der Zeit vor 1961 hatte, das nutzten wir aus“, erzählt Bach. Kurzerhand wurde aus ihrem Großonkel der ihres Mannes, samt eidesstattlicher Erklärung. Der Plan ging auf. „Aber ich musste meinen Mann als Republikflüchtling anzeigen, sonst wäre ich wegen Mitwisserschaft in den Knast gekommen.“


Hilfe von Gregor Gysi

Anfang 1988 stellte Bach dann einen Antrag auf Familienzusammenführung, um zu ihrem Mann in den Westen zu ziehen. Er wurde nach einem Jahr abgelehnt. Über Beziehungen, die ihr Mann bis hoch in den Bundestag hatte, gelang es aber, einen Termin im Rechtsanwaltbüro Vogel und Gysi, dem einzigen, das die Eingaben zu Ausreiseanträgen bearbeitete, zu bekommen. Gregor Gysi nahm sich ihres Falls an. „Unglaublich, dem Einspruch wurde stattgegeben.“

Der positive Bescheid ließ jedoch noch auf sich warten. Inzwischen, im Sommer 1989, hatten Tausende DDR-Bürger Zuflucht in der Prager Botschaft gesucht, um in die Bundesrepublik ausreisen zu dürfen. „Das wollte ich auch versuchen, für Prag brauchte man im Gegensatz zu Ungarn kein Visum, das ich wegen meines Antrags nicht bekommen hätte“, berichtet Bach. Aber beim Einchecken im Flughafen Schönefeld holte sie die Stasi wieder ein. Sie dürfe nicht nach Prag, denn ausgerechnet sie bräuchte ein Visum. Sie solle nach Hause gehen, sonst drohe die Festnahme.

Endlich, im August 1989, erfuhr sie von Gysi, dass sie über die Glienicker Brücke gegen einen DDR-Spion ausgetauscht werden sollte. Noch einmal wurde sie mit der Stasi konfrontiert, die sie an einem Sonnabend gegen 23 Uhr abholte um sie mit Söhnchen Philipp zur Brücke zu bringen. „Es war wie im Film, spät abends, Dunst über dem Wasser“, erinnert sich Bach. Dann sollte sie losgehen, dabei nicht sprechen. „Ich hatte Angst, dachte, vielleicht schießen sie doch.“ Mitten auf der Brücke gingen der Spion und sie aneinander vorbei. „Er guckte. Ich nicht. Und die letzten drei Meter bin ich gerannt.“

„Ich habe kämpfen gelernt“

Im Westen angekommen, folgte die Reise über die Transitstrecke nach Hof und weiter nach Bamberg. Endlich war die Familie wieder zusammen, der Ehemann sah zum ersten Mal seinen Sohn. „Als kurze Zeit später die Mauer fiel, dachte ich nur, das kann nicht wahr sein“, sagt Bach. „Ich hatte solche Kämpfe auszufechten, soviel Stress und Angst, und jetzt war es ganz einfach, nicht zu fassen.“

Um alles zu verarbeiten, braucht es seine Zeit, aber heute ist Sylke Bach glücklich mit ihrem Leben und als Künstlerin. In drei Hotels am Alexanderplatz sind Dauerausstellungen ihrer Bilder zu sehen. Ihr Markenzeichen sind fluoreszierende Farben, ihre Motive bekannte Berliner Bauwerke oder Idole wie Hilde Knef und Günter Pfitzmann.

Das Fazit zu ihrer Vergangenheit: „Ich habe kämpfen gelernt, aber Gelassenheit erlangt – auch was den Osten betrifft.“

Es geht nicht nur bunt: Sylke Bach porträtiert Hilde Knef, Harald Juhnke oder aktuell Günter Pfitzmann in Schwarz-Weiß-Dunkelbau.  | Foto: Foto: Ulrike Martin
Trotz ihrer Stasi-Erfahrungen hat die Künstlerin Sylke Bach zur Gelassenheit gefunden - deshalb ist auch der Fernsehturm aus dem Osten Berlin eines ihrer Motive. | Foto: Ulrike Martin
Autor:

Ulrike Martin aus Neukölln

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