Ich hatte eine Phobie gegen Heimat

Schmargendorf. Heimat ist ein Desiderat (etwas Erwünschtes, Fehlendes; d. Red.), nicht Fußfassen können, nachdem ich als Kind von einem Krieg aus meinem Sandkasten vertrieben wurde.

Ich kam als Achtzehnjährige nach Westberlin, wollte ein Jahr bleiben, es wurden fünfzig, 20 Umzüge, meist südlich vom Kudamm, im Südwesten. Westberlin war der beste Ort, wenn man eine Phobie gegen Heimat hat. Es war ja ein Provisorium, das sagte schon: die Provisorische Hauptstadt. Der östliche Teil lag im Ausland, konnte nur mit einem Visum bereist werden, kam also überhaupt nicht infrage.

Den Duft des Kiezes habe ich nicht erlebt, wenn Bindungen entstanden, war ich weg. Der Tratsch aus einer eingeengten Kindheit hing noch in meinen Ohren.
Ich arbeitete am Kudamm, in Dahlem, also wohnte ich in der Nähe.

Den Wannsee kannte ich schon im Rheinland, wo ich herkam. Conny Frobess packte die Badehose ein, um zum Wannsee zu fahren. Ich schwamm gerne. Was sie nicht wusste, dass ich, als ich sechzehn war, einen Geliebten am Wannsee hatte. Ich hatte einen Michael Kohlhaas kennengelernt, der lebte in Kohlhasenbrück, der hatte das gleiche Gerechtigkeitsempfinden wie ich. Als ihm Unrecht angetan wird, schlägt er zurück, wozu ich mich ja nicht traute, weil ich keine Heimat hatte, also auch kein Recht.

Das hat sich Heinrich von Kleist toll ausgedacht, mich aufzubauen mit seinem Michael, auch wenn er selbst wenig Glück hatte im Leben. Schließlich erschoss er sich am Wannsee und wurde als Selbstmörder vor Ort begraben.

Ich zog in seine Nähe. Und dann im Jahrhundertwinter hatte ich mir vor seinen Augen beim Schlittschuhlaufen ein Bein gebrochen, die Heilung dauerte, lange Zeit lief ich in Gips gepackt auf einem Bein. Nicht-Fußfassenkönnen! Ich blieb zehn Jahre bei ihm, so lange wie nirgends, da hatte ich ein wenig Heimat. Jenny Schon

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Lokalredaktion aus Mitte

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