Kriegsthema tiefgründig und humorvoll dargestellt
Elfriede Fuchs möchte man(n) lieber aus dem Weg gehen. Diverse Gatten hat sie überlebt, die angeblich auf dem offenbar kurzen Weg von Ehebett zur Räucherkammer ihren Geist aufgaben. Sicher ist, dass regelmäßig Wildschweine aus dem Spandauer Forst diese Kammer bevölkern. Gleich zu Beginn schiebt Elfriede Fuchs einen Bollerwagen auf die Bühne, darauf ein gerade mit der Flinte erlegtes Wild. Die Fuchsen ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, sich und ihren Sohn, dem amtlich Schwachsinn bescheinigt wurde, durchzubringen.
Sonya Martin gibt Frau Fuchs nicht nur Züge von Mutter Courage und Mutter Wolffen, sie verleiht ihr mit dem Text von Autor, Regisseur und Theaterleiter Heinz Klever eine ganz eigene Note - die einer einfachen Frau, deren Resolutheit sich auch mit ihrer Frömmigkeit messen kann. Sie ahnt, dass sich im Jahr der Handlung 1914 ein Unglück zusammenbraut, und sie fleht nicht nur einmal Gott an, dies nicht zu zulassen. Als sie den Nachbarn Scharnagel (Alexander Haugg), einen kaisertreuen Vertreter für "Kulturgüter", womit Nachttöpfe und ähnliches gemeint sind, als Denunzianten ihrer Wilderei in ihre Räucherkammer lockt, sticht sie nicht mit dem schon gezückten Messer zu - für Scharnagel bedeutet das trotzdem keine gute Wende. Vor Schreck meldet er sich zum Militärdienst, ist künftig einäugig und einarmig Symbol der Schrecken des Krieges.
Der kommt dann in einer ganz anderen Szene sehr eindrücklich vor. Es ist das berühmte Weihnachten 1914, als deutsche und englische Soldaten ihre Schützengraben verlassen und gemeinsam die Heilige Nacht feiern. Im Stück misst sich dabei Elfriedes Fuchs Sohn, gegen den Willen der Mutter und anstelle seines bestens Freundes an die Front gegangen, mit einem britischen Soldaten beim Schachspiel. Sein Vorschlag: Wer gewinnt, gewinnt auch den Krieg. Das gefällt allen, doch der erfolgreiche deutsche Schachspieler landet im Gefängnis: Das Morden beenden zu wollen, ist eben im Krieg Hochverrat.
Volker Waldschmidt gibt diesen Stotterer mit großem Herz und Schachbegabung, und er ist die Entdeckung des Abends. Er überzeugt mit seinen Minderwertigkeitsgefühlen und seiner Verzweiflung, aber auch mit dem von der Mutter geerbten praktischen Lebenssinn, mit dem er mit einem "gefallenen Mädchen" und seinem besten Freund eine Dreiecksbeziehung beginnt.
So spielt Heinz Klever alle Themen der Zeit an, vom Elend der Menschen (Elfriede Fuchs zweiter Nachbar ist Arzt und SPD-Mitglied, der Frauen bei Abtreibungen hilft, dessen Frau die Familienkasse mit eher unzüchtigen Arbeiten auffüllt), vom Auseinanderbrechen der Sozialdemokratie, die den Kriegskrediten für den Kaiser zustimmte, und gar der Aussicht, dass mit dem Ende des Krieges der Schrecken noch lange nicht vorbei ist.
Varianta hat ein schweres Thema mit Leichtigkeit aufbereitet, und der Besucher geht beschwingt.
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.