Als Günter Grass auf dem Sofa saß
Namen und Episoden aus der 75-jährigen Geschichte des Spandauer Volksblattes
75 Jahre Spandauer Volksblatt sind natürlich auch 75 Jahre berichtete Zeitgeschichte. Um die soll es hier aber weniger gehen, sondern mehr um Episoden, Anmerkungen und Menschen.
Wer sich alte Volksblatt-Ausgaben ansieht, entdeckt vor allem viel Text und wenige Bilder. Und wenn es Fotos gab, dann in Schwarz-Weiß. Erst ab den 1970er-Jahren kam langsam etwas mehr Farbe ins Blatt, speziell zunächst in manchen Anzeigen. Was ebenfalls auffiel: Lange dominierten kurze Artikel. Eine Seite bestand schon mal fast ausschließlich aus kleineren oder größeren Meldungen. Wenn sie gleichzeitig gar nicht oder kaum durch Bilder aufgelockert wurden, sah das aus heutiger Sicht wie eine Bleiwüste aus.
Ein Spandauer Gewächs
Das Spandauer Volksblatt hieß nicht durchgehend so. In den 70er-Jahren trug die Zeitung nur den Titel Volksblatt, in den 80er-Jahren sogar Volksblatt Berlin. Die Zeitung wollte sich damals auf die ganze Stadt ausdehnen. Dieses Ziel gelang allerdings nur bedingt. Denn am Ende blieb sie – gerade in der Außenwahrnehmung – ein Spandauer Gewächs.
Das erste Foto vom 200 000. Spandauer Erdenbürger
Der lokale Bezug ist in all den Jahrzehnten nie verloren gegangen. Er war nur zu manchen Zeiten etwas schwächer ausgeprägt. Dabei war das Volksblatt immer dann stark, wenn es seinen Spandauer Standortvorteil ausspielen konnte. Zum Beispiel am 20. Juli 1967, als Evelyne Neuhaus geboren wurde. Mit ihrer Geburt erreichte der Bezirk zum ersten Mal die Marke von 200 000 Einwohnern. Für das erste Foto von Mutter und Kind war das Volksblatt natürlich sofort im Krankenhaus. Die Einwohnerzahl Spandaus rutschte seither nie mehr unter 200 000.
Auch große Ereignisse in der Havelstadt wurden gebührend begleitet. Als Spandau im März 1982 seine 750-Jahrfeier beging (fünf Jahre früher als Berlin) gab das Volksblatt aus Anlass des Geburtstages eine große Beilage heraus. Sie hatte mit 88 Seiten einen größeren Umfang als alle Jubiläumsausgaben in eigener Sache. Ebenfalls groß abgehandelt wurde zweieinhalb Jahre später die Einweihung der U-Bahnlinie zum Rathaus Spandau.
Günter Grass als Mitarbeiter
20 Jahre zuvor war das Volksblatt nicht nur auf dem Weg nach Berlin, sondern gab sich auch eine betont progressive Haltung. Dafür sollten auch Künstler und Literaten stehen, die 1964 als Mitarbeiter gewonnen wurden. Der bekannteste von ihnen war der spätere Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Grass hat sich 1996 noch an den die damalige Zeit erinnert, vor allem an eine Aktion, bei der er zusammen mit dem Kabarettisten Wolfgang Neuss als Volksblatt-Verkäufer auf dem Kurfürstendamm unterwegs war.
Rainer Lezinsky kann sich wiederum noch an Besuche nicht nur dieser beiden Herren in seinem Elternhaus erinnern. Dabei sei auch das eine oder andere Glas geleert worden. Der Einsatz dieser Autoren dauerte ungefähr eineinhalb Jahre.
Im Volksblatt gewohnt
Rainer Lezinsky ist einer der inzwischen wenigen Zeitzeugen, die sich noch gut an die Anfangsjahre der Zeitung erinnern können. Er wurde 1950 als ältestes Kind von Kurt und Ingrid Lezinsky geboren. Und er ist nicht nur deshalb im und mit dem Spandauer Volksblatt aufgewachsen. "Die ersten zwölf Jahre habe ich im Verlagshaus gewohnt", erzählt er. Die Bleibe der Familie habe sich unterm Dach befunden, nach dem Auszug 1962 seien dort Büroräume eingerichtet worden. Rainer Lezinsky hat eine Ausbildung zum Schriftsetzer gemacht und ein Ingenieurstudium absolviert. Am 1. Februar 1977 sei er in den Verlag eingetreten, zunächst als Stellvertreter des Betriebsleiters Rolf Gehler. Einen Mann, den er besonders heraushebt und dessen Nachfolger er später wurde.
Nach der Umwandlung des Volksblatts zur Anzeigenzeitung gründete er zusammen mit seinem Bruder den Verlagsservice Lezinsky.
Talklady Anne Will schrieb für das Volksblatt
Zu zumindest zeitweisen Volksblatt-Mitarbeitern gehörten auch manche Personen, die schon damals oder später bekannt geworden sind. Etwa Alice Brauner, Tochter des Filmproduzenten Artur Brauner. Von ihrem Vater findet sich bereits 1956 ein Gastbeitrag für die Zeitung. Die Verbindung lag schon deshalb nahe, weil Brauners CCC-Studios in Spandau angesiedelt waren. Noch geläufiger ist wahrscheinlich der Name Anne Will. Die heutige Sonntagstalkmasterin, deren Einstiegssatz in fast jeder Sendung "Schön, dass Sie wieder mit dabei sind" lautet, schrieb zu Beginn ihrer journalistischen Karriere ebenfalls für das Spandauer Volksblatt.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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