„Es ist eine andere Welt“
Im Lerncafé pauken funktionale Analphabeten das Lesen und Schreiben

Susanne Angulo, Koordinatorin des GIZ-Projektes Lerncafé für funktionale Analphabeten, mit Lerner-Experten Klaus beim Erlernen von Lesen und Schreiben.  | Foto: Mia Bavandi
  • Susanne Angulo, Koordinatorin des GIZ-Projektes Lerncafé für funktionale Analphabeten, mit Lerner-Experten Klaus beim Erlernen von Lesen und Schreiben.
  • Foto: Mia Bavandi
  • hochgeladen von Alexander Schultze

In Spandau soll es rund 20.000 Menschen geben, die nicht richtig lesen und schreiben können. In Einrichtungen wie dem Lerncafé, ein Projekt der Gesellschaft für Interkulturelles Zusammenleben (GIZ), werden Betroffene darin unterrichtet, aus ihrem Schattendasein hervorzutreten, um die beiden Kulturtechniken zu erlernen oder zu verbessern.

Es braucht eine Menge Mut, mit eigener Kraft „diese andere Welt“ zu verlassen. „Man verzichtet auf so vieles wie Mopedfahren oder den Führerschein und hat natürlich auch kulturelle, gesellschaftliche Einbußen“, erklärt Klaus. Als bei der Deutschen Bahn gelernter Gleisbauer konnte der Mann mittleren Alters seine Lese- und Schreibschwäche jahrelang verbergen. „Man verfügt zwar über ein gewisses Trick-Repertoire wie beispielsweise den Vorwand, die Brille vergessen zu haben. Defizite vermuten würde da niemand. Man lebt aber in einer anderen Welt, wenn man nicht schreiben und lesen kann“, bedauert er.

Nur ein Prozent der Analphabeten nutzt Angebote

Klaus ist einer von rund 20.000 in Spandau lebenden funktionalen Analphabeten. Sie haben zwar Lesen und Schreiben gelernt, beherrschen diese Techniken aber nicht ausreichend. „Es ist eine große Herausforderung, denn nur rund ein Prozent dieser Menschen kommen in Lernangeboten auch an“, erklärt Lerncafé-Projektkoordinatorin Susanne Angulo.

Klaus ist einer der Willigen. Seit der Eröffnung vor zwei Jahren ist er dabei. „Aber diesen Schritt in die Öffentlichkeit muss man erst mal wagen“, sagt Klaus, dessen jahrelanges Dasein als funktionaler Analphabet von Furcht, Angst vor Blamage oder Enttäuschung geprägt war. Diesem hat er ein Ende gesetzt und im Lerncafé Spandau eine hilfreiche Anlaufstelle gefunden, zum Verbessern seiner Lese- und Schreibfähigkeiten und zum Austausch unter Gleichgesinnten. Nun geht er „ganz anders durch das Leben, wenn er lesen und das Gelesene auch begreifen kann“.

"Wir wollen keine schulische Atmosphäre"

Lerngruppen finden von Montag bis Freitag jeweils am Vormittag statt. An jedem Dienstag und Donnerstag unterrichtet Projektkoordinatorin Angulo eine heterogene Gruppe mit bis zu zehn Lerneifrigen. „Die Lernenden im Lerncafé sind zwischen 18 und über 60 Jahren alt, etwa zur Hälfte deutsche Muttersprachler und zur Hälfte Nicht-Muttersprachler. Die Mehrheit hat keinen Schulabschluss und nur wenige sind berufstätig“, so Angulo. Ihr ist es wichtig, keine schulische Atmosphäre in den Kursen zu schaffen. „Das gesellige Zusammensein bei Obst, Tee und Kuchen, unser Zusammenhalt, der Austausch untereinander und eine individuelle Lernvermittlung spielen hier eine große Rolle“, erklärt sie. Der Einstieg in Kurse ist jederzeit möglich. Mit offenem Ende, denn: „Es ist ein langer, altersbedingter und durch berufliche oder soziale Umstände oft verzögerter Prozess, Lesen und Schreiben richtig zu lernen. Kontinuierliches Lernen ist wichtig.“, sagt Angulo.

Zusätzlich zum Angebot des Lerncafés wirken sich begleitende Maßnahmen wie die soziale Beratung und Hilfestellungen bei Behördengängen und Wegen zu anderen Institutionen positiv aus und werden ebenso beim GIZ angeboten. „Verbraucherrechtliche Angelegenheiten wie Verträge mit Handy- oder Stromanbietern stellen oft eine große Herausforderung für funktionale Analphabeten dar. Da ist Hilfe zur Sicherheit unserer Kursteilnehmer vonnöten“, weiß Angulo.

Am 8. September findet der Welt-Alphabetisierungstag statt. Auch das Spandauer Lerncafé wird sich mit Aktionen daran beteiligen.

Weitere Informationen zu den Alphabetisierungskursen und allen weiteren Angeboten der GIZ gibt es unter https://giz.berlin und 513 01 00.

Autor:

Mia Bavandi aus Reinickendorf

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 228× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 988× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 649× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.138× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 2.026× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.