Interview mit den Quartiersmanagerinnen Aline Löw und Mariana Kuchlevska
"Nur mit den Menschen kann sich etwas verändern"
Drei Quartiersmanagerinnen betreuen die Neustadt mit ihren gut 10.230 Quartiersbewohnern und der Schönwalder Straße, dem Koeltzepark und Lutherplatz im Zentrum. Im Auftrag des Senats entwickeln sie Konzepte und Strategien, damit der Stadtteil sozial nicht abrutscht. Reporterin Ulrike Kiefert sprach mit Mariana Kuchlevska und Aline Löw über die Projekte, Erfolge und darüber, warum die Neustadt sie weiter braucht.
Das Quartiersmanagement in der Neustadt gibt es seit Juli 2009. Sind die relevanten Themen von damals heute noch dieselben?
Mariana Kuchlevska: Die Schwerpunkte unserer Arbeit haben sich natürlich weiterentwickelt und auch verändert. Anfangs haben uns die Bewohner vor allem auf fehlende Angebote für Kinder und Familien hingewiesen. Da ging es um die Ausstattung von Spielplätzen oder mangelnde Betreuungsplätze. Die Sicherheit und Sauberkeit im Kiez, Bildungsangebote und Spielmöglichkeiten im öffentlichen Raum waren damals schon die großen Themen und sind es heute noch. Und von Anfang an ging es auch darum, das soziale Leben in der Nachbarschaft zu fördern und den Zusammenhalt zu stärken. Dafür holen wir möglichst viele lokale Akteure, Bewohner und soziale Einrichtungen mit ins Boot. Denn nur mit den Menschen aus dem Kiez kann sich etwas verändern.
Wie gelingt Ihnen das?
Aline Löw: Indem wir die Partizipation und Teilhabe der Bewohner stärken. Das ist unser Hauptanliegen. Wir sind als Quartiersmanagement eine Art Stadtteilmoderator. Wir vermitteln zwischen den verschiedenen Akteuren und Interessen. Wir wollen, dass sich die Bewohner in ihrem Kiez wohlfühlen und sich ihre Lebensqualität verbessert. Dafür sammeln wir ihre Ideen und tragen sie weiter. Wir bringen die Akteure zusammen, helfen dabei, lokale Aktivitäten und Projekte zu realisieren, und rücken so die Potenziale der Neustadt mehr in den öffentlichen Fokus.
Mariana Kuchlevska: Veränderung kann nicht mit wenigen Großprojekten gelingen. Wir brauchen vielmehr kleinteiliges, vernetztes Handeln. Das ist zwar mühselig und nicht immer sofort sichtbar. Wer gern in seinem Kiez lebt, der engagiert sich auch eher. Und dort, wo dieses Engagement sichtbar wird, sind auch andere bereit mitzumachen.
Welche Projekte haben Sie erfolgreich angestoßen?
Aline Löw: Es gibt eine Vielzahl von Initiativen und Projekten, die aus dem Kiez heraus entstanden sind. Den „Markt der Möglichkeiten“ im Koeltzepark oder den „Tag des Handwerks“ zum Beispiel. Es gibt Rundgänge durch den Kiez, Konzerte, Ausstellungen, und den „Jobkiosk“, der bis 2017 Arbeitslose unterstützt hat. Wir haben als QM-Team auch das Beteiligungsformat „QM auf Tournee“ angestoßen, mit dem wir die Bewohner direkt an öffentlichen Orten ansprechen. Der Lutherplatz als zentraler Platz im Kiez wurde deutlich aufgewertet. Nicht nur die Mitglieder der sehr aktiven Kirchengemeinde haben sich hier engagiert. Auch die Neustädter haben sich beteiligt, und Vorschläge entwickelt, wie man den Platz neu gestalten kann. Oder nehmen Sie die vielen Menschen mit Suchterkrankungen im Kiez. Der Verein Fixpunkt-SPAX arbeitet erfolgreich mit Sozialarbeitern und einem eigenen Treffpunkt mit den Betroffenen zusammen. Bei all diesen Aktivitäten geht es darum Präsenz zu zeigen, nicht anderen kritiklos das Feld zu überlassen.
Wurden Sie als Quartiersmanager von Anfang an ernst genommen?
Mariana Kuchlevska: Wir sind nie belächelt worden, wenn Sie das meinen. Die Leute haben schnell gemerkt, dass wir sie ernst nehmen und den Kiez gemeinsam mit ihnen verändern wollen. Und natürlich mit den Trägern vor Ort, mit der Luther-Kirchengemeinde und der Lynar-Grundschule, dem Paul-Schneider-Haus und den vielen Vereinen wie „Spandauer Jugend“, dem Wirtschaftshof Spandau, „bwgt“ oder LIFE. Die sozialen Netzwerke funktionen immer besser. Und auch Ideen gibt es reichlich. So hatte die Lynar-Grundschule zum Beispiel eine eigene Kletterwand vorgeschlagen, die von der ganzen Nachbarschaft genutzt werden kann. Im Projekt „Familie Neustadt“ engagieren sich Eltern aus der Kita und dem Familienzentrum Lasiuszeile. Auch das Hundekotproblem wird mit den Bewohnern und Hundebesitzern gemeinsam angegangen.
Was sind die Projekte für 2019?
Aline Löw: Weiterlaufen werden beispielsweise der „Berufskompass“ und das Schülerpatenprojekt „Education Point“ des Vereins Spandauer Jugend. Das „Netzwerk Bewegung“ von „bwgt“ geht mittlerweile ins fünfte Jahr. Da treffen sich Leute etwa zum Yoga oder Sport im Koeltzepark. Mit dem Verein „open Berlin“ bereiten wir gerade ein Projekt zum Lutherplatz vor. Da geht es darum, den Lutherplatz neu zu nutzen und für alle Neustädter attraktiv zu machen. Mit einem Kiezkino zum Beispiel, einem Markt oder einem Café mit Liegestühlen. Dann hat der Quartiersrat gerade die „Medienwerkstatt“ verabschiedet. Digitale und soziale Medien sind ein großes Thema, nicht nur für junge Leute. Der Träger LIFE hat ein Hörspiel-Projekt mit Schülern der Lynar-Grundschule initiiert. Das Projekt wurde bereits zum zweiten Mal gefördert und nennt sich jetzt „Neustadt Null Müll“ und soll Kindern und Erwachsenen erklären, wie ich meine Umwelt sauber halte, wie ich Müll richtig trenne oder Plastik im Alltag vermeiden kann. Im Kiez wird ein neues Jugendzentrum an der Triftstraße entstehen. Anfang 2020 soll es mit dem Bau losgehen. Kinder und Jugendliche haben sich am Konzept beteiligt und ein Modell nach ihren Wünschen gebaut.
Das klingt alles so, als sei die Neustadt reif, ohne Quartiersmanager auszukommen.
Mariana Kuchlevska: Ein Quartiersmanagement ist natürlich nicht für immer da. Irgendwann muss der Kiez stabil genug sein, um auf eigenen Beinen zu stehen. Die Neustadt ist auf dem Weg dorthin, aber noch nicht angekommen. Das zeigen auch die Zahlen. Die Kinderarmut ist zwar leicht gesunken, liegt aber immer noch bei 59 Prozent. Die Arbeitslosenquote hat sich auf 8,6 Prozent verbessert. Aber mehr als ein Drittel der Bewohner beziehen Transferleistungen vom Staat. Die Neustadt wird immer voller und jünger, fast 20 Prozent sind jünger als 18 Jahre. Das alles bringt neue Herausforderungen mit sich. Deshalb hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen entschieden, die Neustadt vorerst als QM-Gebiet zu belassen. Die Quartiersmanagements sind ja Teil des Städtebauförderprogramms „Soziale Stadt“. Das heißt, alle Projekte werden aus vier Quartiersfonds finanziert. Aus dem Baufonds wurden beispielsweise die Lynar-Grundschule und das Paul-Schneider-Haus saniert. Die QM-Gelder stammen vom Land Berlin, dem Bund und der EU. Deshalb schaut sich die Senatsverwaltung einzelne QM-Gebiete alle zwei Jahre genauer an und prüft, ob sie aus der Förderung entlassen werden können.
Wie können sich die Neustädter konkret beteiligen?
Aline Löw: Jeder kann Ideen, Wünsche und Vorschläge für den Stadtteil einbringen. Dazu bieten wir Sprechstunden in unserem QM-Büro in der Lynarstraße 13 an, es gibt den Quartiersrat und die Aktionsfondsjury, Ideenwerkstätten, Workshops und Veranstaltungen. Und natürlich kann man uns per E-Mail oder telefonisch kontaktieren. Wir unterstützen die Neustädter dabei, eigene Projekte zu realisieren. Dafür gibt es auch Geld, denn der Aktionsfonds fördert ehrenamtliche Projekte mit 1500 Euro. Jeder Einzelne ist deshalb aufgerufen nachzudenken, was er selbst tun kann, um die Neustadt noch ein Stück lebenswerter zu machen.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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