Künstlergruppe "aufBruch" zeigt Gefängnis-Inszenierung nach Beethoven
Liebe im Alltag und hinter Gittern

Im alten Gefängnisgebäude schaut Don Pizarro misstrauisch auf die Gefangenen, denen Hofgang gewährt wurde.  | Foto: Thomas Aurin
  • Im alten Gefängnisgebäude schaut Don Pizarro misstrauisch auf die Gefangenen, denen Hofgang gewährt wurde.
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Die Künstlergruppe „aufBruch – Kunst, Gefängnis, Stadt“ bringt im Beethoven-Jahr dessen Oper Fidelio in der Justizvollzugsanstalt Tegel auf die Bühne.

Das Gefängnis an der Seidelstraße hat eine Leiche im Keller. Beinahe zumindest, denn bei Beethoven geht es gut aus. Der korrupte Gouverneur Don Pizarro hat seinen Kritiker Florestan zunächst einkerkern lassen, dann aber sogar dessen Ermordung beauftragt, denn der Besuch eines Ministers im Gefängnis könnte Pizarros Machenschaften auffliegen lassen. Der Mordplan scheitert am Schließer Fidelio, der eigentlich Florestans Ehefrau Leonore ist, die sich in Männerkleidern ins Gefängnis schmuggelte.

Das aufBruch-Ensemble aus Insassen der Haftanstalt und Studenten der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ und der Karajan-Akademie, organisiert vom Education-Programm der Berliner Philharmoniker, hat ein Problem nicht, das jedes anderes Theater hat: Wie bringt man glaubwürdig Gefängnisatmosphäre auf die Bühne? Schauspieler, Musiker und Publikum wandern hier durch die nicht mehr genutzte Teilanstalt 3 aus dem Jahr 1898 mit ihren engen Zellen und schmalen Gängen.

Ein Mann spielt eine Frau,
die einen Mann spielt

Regisseur Peter Atanassow schließt das Opern-Libretto kurz mit Texten wie Rudolf Leonhards „Die Geiseln“ über französische Zivilisten, die im Zweiten Weltkrieg von deutschen Soldaten als Vergeltung für Anschläge des Widerstands ermordet werden. Die Spannweite der Inszenierung zwischen Komik – im rein männlichen Gefangenenensemble spielt ein Mann eine Frau, die sich als Mann verkleidet hat – und extremer Brutalität funktioniert. Das Publikum taucht ein in eine bedrückende Atmosphäre und wird wieder ins Lachen hinein erlöst.

Faszinierend ist, welche musikalische Qualität die Gefangenen-Schauspieler entwickelt haben, vom Bariton bis zum Tenor. Es wird mehr gesprochen als gesungen, aber im Gesang zeigt sich, dass sich die gut zehnwöchige intensive Probenarbeit gelohnt hat.

Überlebt eine Beziehung
einen Gefängnisaufenthalt?

Das Zeichen, das Beethoven mit der Oper gegen politische Willkür setzte, verblasst natürlich in einem Gefängnis mit Menschen, die in einem Rechtsstaat verurteilt wurden. Zeitlos bleibt die Frage, wie die Leidenschaft einer Liebe, die gegen alle Wahrscheinlichkeit ein Verbrecherregime überwindet, sich im Alltag bewährt. Deswegen gibt es zum Ende gleich zweimal einen Dialog zwischen Fidelio und dem gerade befreiten Florestan. Fidelio/Leonore schildert ihren Aufwand, um zu ihm zu kommen. Florestan reagiert mehrfach mit einem gelangweilt-skeptischen „Ach ja?“. Fast scheint es, als sei diese Beziehung mit der Befreiung schon am Ende. Und damit ist die Inszenierung im Alltag des heutigen Gefängnisses angekommen. Sie beleuchtet die Schwierigkeiten von Menschen, Beziehungen zu haben, wenn sie lange inhaftiert sind. In Tegel sorgt die Künstlergruppe aufBruch seit 22 Jahren dafür, dass Inhaftierung nicht einfaches Weggesperrtsein bedeutet.

„Fidelio“ wird in der JVA-Tegel, Seidelstraße 39, noch gespielt am 27. und 28. Februar sowie am 4., 5., 6., 11., 12. Und 13. März jeweils um 17.30 Uhr (letzter Einlass 17 Uhr). Karten zu 15, ermäßigt zehn Euro gibt es nur im Vorverkauf für Menschen ab 16 Jahren bei der Volksbühne Berlin unter 24 06 57 77.

Weitere Informationen unter www.gefaengnistheater.de.

Autor:

Christian Schindler aus Reinickendorf

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