Wenn der Mauersegler durchs Wohnzimmer kreist
Oskar und Magdalena Heinroth und ihre tausend Vögel

Oskar und Magdalena Heinroth auf einem Spaziergang 1925 mit zwei ihrer Vögel. | Foto: Oskar Heinroth/Knesebeck Verlag
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  • Oskar und Magdalena Heinroth auf einem Spaziergang 1925 mit zwei ihrer Vögel.
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In diesen Tagen ist die Luft erfüllt von Vogelstimmen. Ein Tirilieren und Pfeifen hier, ein Krächzen und Schnattern dort. Einer, der ein ganz besonderes Verhältnis zu den heimischen gefiederten Sängern hatte, war Oskar Heinroth (1871-1945), Erbauer und Direktor des Berliner Zoo-Aquariums.

Wenn zu Heinroths Zeiten die Käfighaltung einheimischer Singvögel auch weitverbreitet gewesen ist, was sich in der Dienstwohnung des Zoologen und seiner Ehefrau Magdalena am Aquarium abspielte, gab es kein zweites Mal.

In jedem Zimmer traf man auf Vögel. Eine Nachtschwalbe brütete auf dem Teppich. Ein Specht hackte Löcher in den Schrank. Ein Mauersegler kreiste durchs Wohnzimmer – alle Vögel hatten Freiflug. Ein Birkhahn balzte auf dem Balkon. So beschreiben Karl Schulze-Hagen, ein Frauenarzt mit großer Leidenschaft für die Vogelkunde, und die Bibliothekswissenschaftlerin Gabriele Kaiser in ihrem soeben erschienenen Buch „Die Vogel-WG“ das staunenswerte Szenario bei den Heinroths zu Hause.

Für das kinderlos gebliebene Ehepaar Heinroth waren die Vögel wohl so etwas wie ein Kinderersatz. Jedes Tier bekam einen Namen. Gleichwohl war das Interesse an den Vögeln wissenschaftlicher Natur. Oskar und Magdalena Heinroth beobachteten ihre Tiere vom Schlüpfen aus dem Ei an ganz genau und intensiv.

Fisch für Komorane vorgekaut

Die Hauptlast bei Aufzucht und Pflege der gefiederten Wohnungsgenossen lag bei Magdalena Heinroth. Ihr Mann Oskar war für den Zoo tätig, seit 1904 als Assistent, von 1911 an als Planer und Erbauer des Aquariums. 1913 wurde es eröffnet. Es gab damals 900 Vogelarten zu sehen. Heinroth leitete 30 Jahre das Zoo-Aquarium und war mehr als 18 Jahre lang Vorsitzender der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft. Deren regelmäßige Treffen veranstaltete Oskar Heinroth in einem Saal im Aquarium.

Magdalena Heinroth muss, so mutmaßt Autor Schulze-Hagen, vom frühen Frühjahr bis zum späten Sommer von morgens drei Uhr bis abends zehn Uhr durchgehend beschäftigt gewesen sein. Dazu gehörten auch solche Prozeduren wie das Vorkauen rohen Fisches für einen Kormoran aus Holland, der dann den Speisebrei aus Magdalena Heinroths Mund fraß.

Am 15. August 1932 starb Magdalena Heinroth. Heinroth heiratete ein Jahr später die Zoologin Katharina Berger. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die erste Zoodirektorin Deutschlands.

Begründer der „Vergleichenden Verhaltensforschung“

Mit seiner ersten Frau hatte der Naturforscher Oskar Heinroth zuhause rund 1000 Vögel von 286 Arten aufgezogen. Erwachsene Tiere wurden an andere Zoos oder an private Halter gegeben, gestorbene Tiere ausgestopft, an die Schlangen im Aquarium verfüttert oder als Braten selbst verspeist.

Gestorben ist Oskar Heinroth 74-jährig am 31. Mai 1945. Der Zooschreiner fertigte aus Türblättern ausgebombter Wohnungen den Sarg. Heinroths Urne wurde am Todestag seiner ersten Frau Magdalena auf dem Zoogelände beigesetzt.

In der Budapester Straße 32 erinnert eine Berliner Gedenktafel an den Begründer der „Vergleichenden Verhaltensforschung“. Auf der Tafel steht ein Zitat von Konrad Lorenz, Oskar Heinroths Schüler: „Aus seinen emsig gesammelten Beobachtungstatsachen erschaute er Wahrheiten, deren Bedeutung wir heute erst zu verstehen beginnen.“

Karl Schulze-Hagen, Gabriele Kaiser, Oskar und Magdalena Heinroth: Die Vogel-Weg. Die Heinroths, ihre 1000 Vögel und die Anfänge der Verhaltensforschung. Gebunden, 272 Seiten, 119 schwarz-weiß-Abbildungen und 17 farbige Abbildungen, soeben erschienen im Knesebeck Verlag München, ISBN: 978-3-95728-395-5, 22 Euro, www.knesebeck-verlag.de.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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