BVV stoppt Umbennung: Neues Auswahlverfahren für Afrikanisches Viertel
Wedding. Die Posse um die heftig umstrittene Umbenennung von drei Straßen im Afrikanischen Viertel nimmt immer kuriosere Züge an. Nach dem verkorksten Prozedere mit einer Geheimjury fordert die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Kulturstadträtin Sabine Weißler (Grüne) auf, „ein transparentes und wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Entscheidung über Straßen- und Platzbenennung im Afrikanischen Viertel vorzulegen“, so der im Kulturausschuss beschlossene Antrag.
Erst tagt eine von Sabine Weißler einberufene Jury, von der niemand wissen durfte, wer da und nach welchen Kriterien ausgewählt wurde, dann präsentiert die Stadträtin am 31. Mai die sechs ausgewählten Namensvorschläge der Geheimjury und erstmals die Namen der zwölf Mitglieder – der Vorsitzende Bertrand Njoume, Mitglied im Afrika-Rat-Berlin-Brandenburg, ist Grünen-Politiker – und weigert sich, die 190 anderen Namensvorschläge – insgesamt waren 196 Vorschläge aus der Bevölkerung eingegangen – öffentlich zu machen, und jetzt wird die Juryentscheidung komplett verworfen.
Heftige Kritik hatte es vor allem an dem Jury-Voting für die afrikanische Königin Nzinga von Matamba (1583-1663) im heutigen Angola gegeben, weil diese im 17. Jahrhundert Zehntausende ihrer Landsleute als Sklaven verkauft haben soll. Was sie auf einem Straßenschild in Wedding zu suchen haben soll, konnten niemand verstehen.
Sabine Weißler hat nach der Protestwelle am 6. Juni angekündigt, „die Jury erneut einzuberufen, um auf die Kritik einzugehen und eventuell eine Ersatznominierung vorzunehmen.“ Jetzt erklärte die Stadträtin im BVV-Kulturausschuss am 14. Juni die Juryarbeit für beendet. Deren Auswahl „waren nur Vorschläge, die in die Welt gesetzt wurden“, sagt sie plötzlich. Mit dem Ende der Juryarbeit sei der BVV-Beschluss „abgearbeitet“.
Die Bezirksverordneten hatten noch in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen, einen Prozess zur Umbenennung der Petersallee, Lüderitzstraße und Nachtigalplatz durchzuführen. Eine Jury, bestehend aus Bezirksamt, Mitgliedern der BVV, Aktiven der Afrikanischen/Postkolonialen Community und weiteren Initiativen, sollte Namen auswählen, die „Persönlichkeiten – insbesondere Frauen – der (post-)kolonialen Befreiungs- und Emanzipationsbewegung aus Ländern Afrikas ehren“. Weißler hatte im Dezember alle 3000 Anwohner angeschrieben und um Vorschläge gebeten.
Jetzt wird das Umbenennungsverfahren komplett neu aufgerollt. Die von der Jury ausgewählten Namen spielen keine Rolle mehr und kommen zurück in den Topf aller 196 und bisher geheim gehaltenen Bürgervorschläge. Die Arbeit der Jury, die acht Mal getagt hat, und die Geheimnistuerei darum, war komplett umsonst.
Der Kulturausschuss hat mit den Stimmen der Grünen, SPD, Linken und AfD (CDU Enthaltung, FDP nicht anwesend) einen von der SPD-Fraktion eingebrachten Antrag beschlossen. Darin heißt es, dass der BVV-Ausschuss Bildung und Kultur „das Jury-Verfahren zur Umsetzung des Beschlusses 2568/IV für beendet hält“. Das Bezirksamt soll „Vorschläge für ein transparentes und wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Entscheidung über Straßen- und Platzbenennung im Afrikanischen Viertel vorlegen“. Diesmal sollen die Anwohner in den Prozess einbezogen werden. Auf einer öffentlichen Veranstaltung sollen alle 196 Namensvorschläge, die auf Grund der Aufrufe des Bezirksamtes von Dezember 2016 und Februar 2017 eingegangen waren, vorgestellt werden. Jede Fraktion kann einen Wissenschaftler vorschlagen, der „in einer öffentlichen Veranstaltung wissenschaftliche Stellungnahmen“ zu den Namen abgibt. Nach welchen Kriterien diese Historiker ausgewählt werden, ist völlig unklar.
Die Initiative Pro Afrikanisches Viertel (IPAV), die gegen die Straßenumbenennungen ist, fordert von Sabine Weißler nach dem „gründlich vergeigten Verfahren“ jetzt „Bescheidenheit“ und zuerst eine Abstimmung unter den Anwohnern und Gewerbetreibenden, ob sie denn überhaupt eine Umbenennung wollen. Nur bei einer Mehrheit dafür soll ein neues Verfahren gestartet werden, so Johann Ganz von der IPAV.
Königinnen statt Kolonisten
Die Namen Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal sollen laut BVV-Beschluss weg, weil sie „dem Ansehen Berlins schaden und mit dem heutigen Demokratieverständnis nicht mehr im Einklang sind.“ Der Nachtigalplatz ist nach dem Afrikaforscher und Kolonialpolitiker Gustav Nachtigal benannt. Die Lüderitzstraße nach dem Kaufmann Adolf Lüderitz, der in der früheren Kolonie Deutsch-Südwestafrika im heutigen Namibia aktiv war. Bei der Petersallee ist die Sache etwas anders. Sie wurde 1939 nach dem Kolonialpolitiker und Unternehmer Carl Peters benannt, der wegen seiner Brutalität auch Hänge-Peters genannt wurde. Die Straße wurde 1986 auf Drängen der Anwohner bereits umgewidmet und ehrt seitdem den NS-Widerstandskämpfer und CDU-Politiker Hans Peters. Das bezirkliche Rechtsamt rät in einer Stellungnahme eindeutig davon ab, die Petersallee umzubenennen, weil dies vor Gericht gekippt würde. Sabine Weißler will das trotzdem, weil ihrer Meinung nach die Leute die Petersallee mit dem "bösen" Peters in Verbindung bringen würden. Belege dafür, dass dies wirklich so ist, hat sie nicht.
Die Geheimjury hatte folgende sechs Namen vorgeschlagen: die afrikanische Königin Nzinga von Matamba (1583-1663), die Königinmutter Yaa Asantewaa (1863-1923), der schwarze Berliner Hochbahnfahrer Martin Dibobe (1876-1922?), die südafrikanische Sängerin Miriam Makeba (1932-2008), die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai (1940-2011) und Rudolf Manga Bell (1873-1914), König des Duala-Volkes in Kamerun zur deutschen Kolonialzeit.
Auf der Vorschlagsliste standen zum Beispiel auch der in Wedding geborene Profifussballer Jerome Boateng oder Nelson Mandela. Der Widerstandskämpfer gegen die Apartheid und von 1994 bis 1999 Präsident Südafrikas wurde 20 Mal genannt. Die südafrikanische Sängerin Miriam Makeba wurde 35 Mal vorgeschlagen, Wangari Maathai wurde 21 Mal genannt. Die umstrittene Herrscherin Nzinga von Ndongo und Matamba bekam nur zwei Nennungen. DJ
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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