„Schichtwechsel“ für einen Tag: Berliner Woche und Union Sozialer Einrichtungen tauschten Mitarbeiter
Am 12. Oktober hieß es „Schichtwechsel“ in Berlin. Mitarbeiter aus fast 100 Unternehmen und Organisationen tauschten ihre Arbeitsplätze mit Beschäftigten aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Auch die Berliner Woche machte mit. Volontärin Josephine Macfoy verbrachte einen Tag bei der Union Sozialer Einrichtungen gGmbH. Ein Erfahrungsbericht.
Statt mit einem Blick in die E-Mails beginnt der Arbeitstag für mich mit einer S-Bahnfahrt in Richtung Wuhlheide, wo die Union Sozialer Einrichtungen (USE) die Jugend-Bildungswerkstatt "Haus Natur und Umwelt" betreibt. Dort können junge Menschen die heimische Natur- und Pflanzenwelt kennenlernen.
Für die Öffentlichkeitsarbeit des Sozialunternehmens USE soll eine Ausstellung dokumentiert werden, die Kinder für Plastikmüll sensibilisiert. Nach dem Interview mit Camilla Schlief, die im Haus ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, geht es mit Kommunikationsdesigner und Arbeitsgruppenleiter Björn Behrendt einmal quer durch die Einrichtungen der USE im Oberschöneweider Waldgebiet. Während Behrendt an Tiergehegen vorbei und durch einen Modellbaupark führt, skizziert er die gesellschaftliche Rolle der Werkstätten für Menschen mit Behinderung.
Ein geschützter Rahmen
Viele Menschen, die den Weg in die Werkstätten fänden, seien vom Druck des ersten Arbeitsmarktes psychisch überfordert oder hätten persönliche Krisen durchlebt, erzählt Behrendt. Werkstätten böten ihnen einen geschützten Rahmen, um sich beruflich zu rehabilitieren.
„Mit dem Schichtwechsel wollen wir den Leuten zeigen, dass wir in vielen Bereichen hochwertige Arbeit abliefern“, sagt USE-Geschäftsführer Andreas Sperlich. Als Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen hat er das Projekt mit initiiert. Dass das Konzept der Werkstatt für Menschen mit Behinderung immer wieder infrage gestellt wird, findet er nicht richtig.
Menschen mit Behinderung seien schlechter gestellt, weil der Mindestlohn nicht für sie gelte, klagt unter anderem das Deutsche Institut für Menschenrechte an. Die Interessenvertretung "Selbstbestimmt Leben in Deutschland" wirft den Werkstätten in einer aktuellen Pressemitteilung zudem Abschottung vor: Wege in den ersten Arbeitsmarkt würden kaum gefördert. Um diese Aufgabe noch stärker wahrzunehmen, bedarf es laut Vorstand der Berliner Werkstatträte allerdings Unterstützung aus der Politik.
Momentan sind zum Beispiel Ausbildungen innerhalb der Werkstätten ein Jahr kürzer als die in Berufsschulen. Das erschwere es, Menschen nachhaltig zu qualifizieren. Auch die Werkstätten wünschten sich eine bessere Bezahlung der Beschäftigten, doch rechtlich werden deren Vollzeitstellen mehr als Fürsorge denn als Berufstätigkeit bewertet. Zudem kann, so Sperlich, nicht jeder auf dem ersten Arbeitsmarkt bestehen.
Blick in den ersten Arbeitsmarkt
Einer, der in der USE seinen Platz gefunden hat, ist Hartmut Koch aus dem Bereich Mediengestaltung. Seinen „Schichtwechsel“ hat er in der Redaktion der Berliner Woche verbracht. Auch Koch hatte viele Fragen an seine Austauscharbeitgeber. Eine professionelle Redaktion kennenzulernen, hat ihn gereizt. Zumal er bereits über eigene Erfahrungen in redaktioneller Arbeit verfügt. So gibt er schon lange eine Selbsthilfezeitung für Menschen mit Psychiatrieerfahrung heraus. Außerdem das Heft "Koch(s) Studio" mit saisonalen Rezepten. Zum "Schichtwechsel" hatte er selbst ausgedachte Bilderrätsel zum Thema Fernsehsendungen mitgebracht. "Ganz schön knifflig, oder?", kommentiert er.
Sein Fazit des Tages: "Der Einblick in den ersten Arbeitsmarkt war lehrreich und ich habe mich mit den Leuten wohl gefühlt. Das nächste Mal gehe ich vielleicht ins Labor. Ich bin ja ausgebildeter Biotechnologe und manchmal vermisse ich diese Arbeit.“ JoM
Autor:Josephine Macfoy aus Schöneberg |
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