Wo Gehörlose sprechen lernten: Im alten Schulhaus Weißensee wird immer noch unterrichtet

Dieses Schulhaus an der Parkstraße 22 wurde für die Israelitische Taubstummen-Anstalt errichtet. | Foto: Bernd Wähner
5Bilder
  • Dieses Schulhaus an der Parkstraße 22 wurde für die Israelitische Taubstummen-Anstalt errichtet.
  • Foto: Bernd Wähner
  • hochgeladen von Bernd Wähner

Das Haus an der Parkstraße 22 schrieb in Deutschland Bildungsgeschichte. Dort hatte viele Jahre lang die Israelitische Taubstummen-Anstalt ihr Zuhause.

Die erste Schule dieser Art in Deutschland, in denen gehörlose Kinder unterrichtet wurden, gründete Markus Reich 1873 mit eigenen finanziellen Mitteln. Sie hatte zunächst nur sieben Schüler, doch der Ruf der Schule führte zu einem raschen Anstieg der Schülerzahl.

Die Unterhaltung der Einrichtung aus privaten Mitteln wurde immer schwieriger. Darum gründeten engagierte Bürger im Januar 1884 den Trägerverein „Freunde der Taubstummen Jedide Ilmim“. Zu den bald 1000 Vereinsmitgliedern zählten so prominente Berliner wie der Verlagsgründer Leopold Ullstein, der Bankier Julius Bleichröder und der Bahnunternehmer Arthur Koppel.

Die Taubstummenschule entwickelte sich so gut, dass nach einigen Erweiterungen am ersten Schulstandort in Fürstenwalde ein Umzug nötig war. 1890 zog die gesamte Schule deshalb nach Neu-Weißensee an die Parkstraße 22 um. Die Familie Reich, die die Schule leitete, konnte dort ihre Vorstellungen von der Bildung Gehörloser vollends verwirklichen. Die Einrichtung, die sich seit Ende des 19. Jahrhunderts „Isrealische Taubstummen-Anstalt für Deutschland“ nannte, wurde zur führenden Schule auf diesem Gebiet. Nach Schließung einer ähnlichen Bildungseinrichtung in Wien war sie schließlich die einzige im gesamten deutschsprachigen Raum. Gehörlose Kinder aus vielen europäischen Ländern und sogar aus Übersee wurden an die Weißenseer Schule geschickt, um durch Reichs Lehrmethode sprechen zu lernen. 1911 gelang es, in Deutschland die Schulpflicht für Gehörlose einzuführen.

Nach dem Ersten Weltkrieg besuchten bis zu 60 Kinder die Einrichtung. Außerdem wurde eine Vorschule eingerichtet. Und ab 1927 ließ die Schulbehörde zu, dass sogenannte Taubstumme auch weiterbildende Schulen besuchen durften. Damit konnten sie sich auf eine Berufsausbildung vorbereiten. Der Förderverein der Schule erreichte 1929 seine höchste Blüte. In diesem Jahr zählte er stattliche 8000 Mitglieder.

1933, wenige Monate nach Machtantritt der Nazis, wurde die Tätigkeit des jüdischen Trägervereins erheblich eingeschränkt. Die staatliche Unterstützung versiegte. Jüdische Vereinsmitglieder bekamen wirtschaftliche Probleme, viele von ihnen wanderten schließlich aus. Außerdem verließen ausländische Schüler aus Sicherheitsgründen die Einrichtung. Im Oktober 1939 wurde die Auflösung des Vereins angeordnet. Drei Jahre später musste schließlich der Schulbetrieb komplett eingestellt werden. Vorübergehend war dann ein jüdisches Altersheim im Gebäude an der Parkstraße 22 untergebracht. Die letzten Bewohner des Hauses wurden 1942 in Vernichtungslager deportiert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Schulhaus zunächst vom Bezirksamt, später von der SED-Kreisleitung genutzt. Seit 1990 beherbergt das Haus Bildungseinrichtungen der Stephanus-Stiftung. Im vergangenen Jahr wurde dort neu die Evangelische Grundschule der Stephanus gGmbH eröffnet. Eine Gedenktafel am Haus erinnert an die Vergangenheit des Ortes. Zu Ehren des Gründers des Vereins und der Taubstummen-Anstalt erhielt der Platz am Eingang zum Jüdischen Friedhof an der Herbert-Baum-Straße im Jahre 1995 den Namen „Markus-Reich-Platz“.

Autor:

Bernd Wähner aus Pankow

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

89 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 860× gelesen
WirtschaftAnzeige
JRB DER HEIMWERKER hat alles, was Ihr Weihnachtsfest schöner macht. | Foto: JRB DER HEIMWERKER

JRB DER HEIMWERKER
Alles für Advent und Weihnachten

JRB DER HEIMWERKER hat ein stimmungsvolles und umfangreiches Angebot im Weihnachtsmarkt für Sie, liebe Kunden, zusammengestellt. Im EG. und 1. OG, das Sie bequem mit Rolltreppe oder Aufzug erreichen können, erwartet Sie eine große Auswahl an Weihnachtsdekoration. Christbaumkugeln und Spitzen in vielen Farben und Formen sowie viele Deko-Artikel, Figuren sind in großer Auswahl vorhanden. Das wichtigste ist ein guter Weihnachtsbaumständer und natürlich die Beleuchtung. Wir führen Lichterketten,...

  • Köpenick
  • 27.11.24
  • 839× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 539× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.039× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.923× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.