Wiege des Stummfilms: Vor 105 Jahren entstand an der Liebermannstraße ein erstes Atelier

So sah in den 1920er-Jahren eines der Filmstudios an der Liebermannstraße aus. | Foto: Sammlung des Vereins Weißenseer Heimatfreunde
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  • So sah in den 1920er-Jahren eines der Filmstudios an der Liebermannstraße aus.
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Heute wissen es nur noch eingefleischte Cineasten und Geschichtsinteressierte: Weißensee war einmal eine Filmstadt. Diese wird sogar hin und wieder als „Klein-Hollywood“ bezeichnet.

Es war im Jahre 1913, also vor 105 Jahren, da wurde in der heutigen Liebermannstraße 24/28 das erste Filmatelier Weißensees eröffnet. Fast 15 Jahre wurden dort Stummfilme produziert. Berliner Produktionsfirmen zog es nach Weißensee, weil man vor den Toren der Stadt Berlin preiswert große Studios errichten konnte.

In Weißensee errichtete und verpachtete der Berliner Abbruch-Unternehmer Paul Köhler ein erstes Ateliergebäude. Von Mai bis Oktober 1913 baute er in der damaligen Franz-Joseph-Straße 57 (der heutigen Liebermannstraße) einen Gebäudekomplex mit allen Voraussetzungen für eine seinerzeit moderne Filmproduktion: ein 25 Meter langes Atelier, Garderobe, Kopiereinrichtungen, Anlagen zur Kolorierung und vieles mehr. Dieses Produktionsgebäude grenzte an die heutige Rennbahnstraße.

Dort begann im Oktober 1913 die Vitaskop GmbH unter Leitung von Jules Greanbaum mit der Produktion von Filmen. „Der Hund von Baskerville“ war einer der ersten Filme, die hier gedreht wurden. Filme wie „Das weiße Grab“, „Die Brillanten der Herzogin“ und die „Welt ohne Männer“ kamen in den folgenden Monaten in die Kinos. Und Paul Köhler investierte weiter. Für die Continental-Film stellte er wenig später einen weiteren Bauantrag für die Franz-Joseph-Straße 9, Ecke Berliner Allee. Bis Juni entstand in Nachbarschaft zur ersten Studioanlage eine zweite.

Nach einem kurzen, kriegsbedingten Einbruch der Filmbranche ging es ab 1915 mit der Filmeproduktion in Weißensee richtig los. Es begann die Zeit der Regisseure und Darsteller, die Stummfilmfans heute noch bekannt sind: Richard Oswald, Reinhold Schünzel, Claire Waldorff, Harry Liedtke, um nur einige zu nennen.

Joe May ist einer der schillernden Namen der frühen Filmgeschichte. Er gilt als Erfinder der Monumentalfilme. Seinen ersten großen Wurf landete er mit „Veritas vincit“. Gleich danach produzierte er „Herrin der Welt“. „Die Spinnen“ in der Regie von Fritz Lang kam 1919 bei der neu gegründeten Produktionsgesellschaft Decla heraus. Sie hatte des Atelier an der Ecke Liebermannstraße und Berliner Allee übernommen. Im gleichen Jahr wurde dort auch der legendenumwobene Streifen „Das Cabinet des Dr. Caligari“ produziert.

Bis zum Jahre 1928 wurde in den Weißenseer Ateliers ein Film nach dem anderen abgedreht. Besonders günstig wirkte sich dabei die Nähe zur Rennbahn aus, die ein idealer Ort für Außenaufnahmen war. Alles was seinerzeit Rang und Namen in der Filmbranche hatte, auch Marlene Dietrich, stand in Weißensee vor der Kamera. Als 1928 der Tonfilm unaufhaltsam seinen stummen Vorgänger ablöste, verloschen jedoch die Lichter in den Weißenseer Ateliers. Ihnen fehlten schlicht die Voraussetzungen für den Tonfilm.

Die Fläche an der Ecke Liebermannstraße und Berliner Allee wurde später mit einem Wohnblock bebaut. An diesem Gebäude erinnert heute eine Berliner Gedenktafel an die Filmstadt Weißensee. Auch der nahe gelegene Joe-May-Platz weist auf die Filmgeschichte des Ortsteils hin.

Autor:

Bernd Wähner aus Pankow

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