So schinden sich Läufer bei der Winterserie des BSV 92
Der erste Sprint, das ist meine Hatz zur Strecke. Die Uhren zeigen 11 Uhr, da fliegen in der Ferne bunte Jacken hinter kahlen Büschen vorbei. Und ich? Bin ab vom Schuss. Du bist der falschen Gruppe hinterhergegangen, dämmert es mir. Wer den Mitläufer spielen will, sollte wenigstens den Richtigen folgen. Und nicht einer Gruppe von Hobbyjoggern, die am gleichen Ort zur gleichen Zeit auf anderen Wegen flitzen will.
Was nun geschieht, ist eine Jagd über Stock und Stein. Und es gelingt mir, Anschluss zu finden an das letzte Viertel des Felds. Da, wo ich hingehöre, bei einem 15-Kilometer-Lauf, der vielen nur als Training gilt zum Halbmarathon in zwei Wochen.
Denn die Winterserie des BSV 92, angefangen mit dem 10-Kilometer-Rennen, ist ein dreiteiliges Vergnügen, ausgetragen seit 41 Jahren, egal ob es regnet oder schneit. Stadion, Eisbahn, Hohenzollerndamm - das sind die landschaftlichen Eckpunkte. Leise Musik von der Schlittschuh-Fläche, Auspuff-Dröhnen von der Autobahn, "Bravo"-Rufe. Das ist die Klangkulisse des Rennens. Sechs Runden spurte ich meist einsam gegen den Wind, weiche Spätaufstehern mit Brötchentüten aus, lasse mich von Polizisten über sonntagsleere Straßen lotsen - und dabei fortwährend überrunden. Beim ersten "Bravo"-Ruf in Runde 2 fühle ich mich noch angesprochen. Doch eine Sekunde später hechtet der Führende, dem der Ansporn tatsächlich galt, an mir vorbei, spuckt im Enteilen lässig in die Büsche.
50 Minuten sollen dem Sieger Michael Kopf am Ende genügen. Mir bleibt das Doppelte an Zeit, um Trikotfarben und Laufstile zu studieren. Das Heizkraftwerk Wilmersdorf mit seinen drei Schloten - es scheint den drei Läufen der Winterserie eine Entsprechung zu geben. Für den wohl ältesten Teilnehmer, Horst Klopf, der 82 Lenze sah, ist es ein Heimspiel. Als er die Ankündigung in der Berliner Woche las, hat ihn die Lust gepackt, noch einmal mitzuhetzen. Und ich frage mich unterwegs mehrmals, wie es ihm wohl gerade ergehen mag. "Sind Sie nicht der Korrespondent der Zeitung?" Es ist die letzte Runde, da höre ich Klopfs Stimme neben mir. Der Routinier hat sich auf meine Höhe zurückfallen lassen und ich überlege, mit ihm ins Ziel zu laufen. "Na, legen Sie mal einen guten Schlussspurt hin", heißt es dann aber. So komme ich drei Minuten eher an - und kann diesem Mann nur meine Achtung ausdrücken. "Das hier war für mich kein Wettkampf, sondern der Abschluss meines Läuferlebens", sagt Klopf, der vor 35 Jahren sogar einen Marathon in Athen bestritten hat. "Jetzt bin ich froh, dass ich lebend ankam."
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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