Ein Baum mit Gesichtern: Handarbeitsprojekt in AWO Refugium Marie-Schlei-Haus

Tine Steen, die Bewohnerinnen Mona und Somayeh und Leiterin Claudia Da Silva vorm Gesichterbaum am Marie-Schlei-Haus | Foto: Berit Müller
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  • Tine Steen, die Bewohnerinnen Mona und Somayeh und Leiterin Claudia Da Silva vorm Gesichterbaum am Marie-Schlei-Haus
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Wittenau. Ein auffälliger Wollschmuck ziert seit Kurzem die große Eiche, die vor dem AWO Refugium Marie-Schlei-Haus am Eichborndamm 124 steht. Etliche gehäkelte Gesichter blicken vom Stamm auf Passanten und Bewohner herab.

Einige wirken ein bisschen grimmig, andere gucken erstaunt, manche lächeln auch. Mal haben die Gesichter Kulleraugen, mal sind die Lider geschlossen. Hier und da blitzen Zähne aus einem Antlitz. Zornig, ängstlich, zuversichtlich: Einen „Pullover“ aus gehäkelten Gemütszuständen trägt seit Mitte Juli der dickste Baumstamm im Vorgarten des Marie-Schlei-Hauses. Den Strickschmuck hat Künstlerin Tine Steen mit Bewohnerinnen des AWO Refugiums angefertigt. „Ein Augenblick“ heißt das Ergebnis ihrer Gemeinschaftsarbeit, die gleichzeitig den Höhepunkt und Abschluss eines einjährigen Projekts in der Flüchtlingsunterkunft bildete. Seit August 2015 war Tine Steen jeden Mittwochnachmittag im Wittenauer Heim zu Gast. Mit einer Gruppe von Mädchen und Frauen hat sie dort gestrickt, gehäkelt, gewebt und genäht. „Zuerst haben wir fast nur praktischen Sachen gemacht“, erzählt Tine Steen. „Es mussten Dinge sein, die nützlich sind – wie Mützen, Hausschuhe, Decken und Teppiche. Und Stofftiere für die Kinder.“

Im AWO Refugium am Eichborndamm leben aktuell 179 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Es sind Kinder, Frauen und Männer aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Iran, Somalia, Eritrea, der Ukraine und Russland. Sie alle haben aus gutem Grund den speziellen Schutzstatus, den eine EU-Richtlinie vorgibt: für unbegleitete Minderjährige, alleinerziehende Mütter und für Flüchtlinge, die physische oder psychische Gewalt erleben mussten. Auch Asylsuchende mit Behinderungen gelten als besonders schutzbedürftig.

Das Projekt „Ein Augenblick“ hat Tine Steen, die seit Jahren Kreativ-Workshops mit Textilien in sozialen Einrichtungen anbietet, eigens fürs Marie-Schlei-Haus entwickelt. Das Konzept überzeugte die Jury des Projektfonds für Kulturelle Bildung, die Fördermittel bereitstellte. „Handarbeit wirkt beruhigend und tröstend“, sagt die Künstlerin. „Deshalb wollte ich ein solches Projekt gerade für geflüchtete Menschen anbieten, die so ein schweres Schicksal haben.“ Wichtig sei auch das einander Kennenlernen bei der gemeinsamen Beschäftigung.

Von der Idee des Baumschmucks waren manche Frauen zunächst aber gar nicht begeistert. „Sie haben nicht so recht verstanden, welchen Sinn das Ganze haben soll“, erzählt Tine Steen. Als dann aber die ersten Gesichter gehäkelt waren, stellte sich doch Spaß ein. Und Stolz. Vom fertigen Baumpullover waren schließlich alle begeistert.

Somayeh zum Beispiel. Die junge Afghanin ist dreifache Mutter, sie hat den Handarbeitsnachmittag regelmäßig besucht. Die 27-Jährige mochte das Gesichter Häkeln von Anfang an. „Weil das etwas Neues war, so etwas habe ich noch nie gemacht“, sagt die junge Frau. „Alles, was neu ist, interessiert mich.“ Somayeh will Krankenschwester werden; das Stricken, Sticken und Nähen sei nur etwas für die Freizeit, findet sie. Aber sie bedauert, dass das Projekt nun vorüber ist. Nicht zuletzt, weil sie so gern mit Tine Steen zusammen war.

Claudia Da Silva, Leiterin des Marie-Schlei-Hauses, hat gute Nachrichten für Somayeh und die anderen Frauen. „Tine kennt unsere Bewohner inzwischen so gut, alle mögen sie und haben Vertrauen aufgebaut. Wir werden uns daher selbst um Fördermittel bemühen, damit sie ein neues Projekt bei uns anbieten kann.“bm

Autor:

Berit Müller aus Lichtenberg

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