„Mein Mann ist jetzt mein Kind“
Steglitz-Zehlendorf. „Manchmal bin ich richtig böse, denke, ich kann nicht mehr. Dann hilft es sehr, wenn ich in meiner Selbsthilfegruppe darüber reden kann.“ Michaela Ostwaldt ist pflegende Angehörige. Die 51-Jährige kümmert sich um ihre demenzkranke Mutter.
Die Kontaktstelle PflegeEngagement im Mittelhof, Königstraße 42-43, bietet in mehreren Ortsteilen Selbsthilfegruppen an. „Das Besondere daran ist, dass die Gruppen alle angeleitet sind, im Gegensatz zu den klassischen Selbsthilfegruppen, die sich nach einer anfänglichen Begleitung alleine organisieren“, erläutert Susanne Baschinski, Diplom-Sozialpädagogin und Koordinatorin der Kontaktstelle. Sie weiß, dass eine Moderation für viele pflegende Angehörige hilfreich ist.
Barbara Sawallisch kann das bestätigen: „Es gibt Tipps und Ratschläge von den Gruppenmitgliedern, wie man reagieren kann oder was zu beachten ist, dass man sich nicht kaputt macht.“ Die 71-Jährige pflegt ihren krebskranken und dementen Mann – alleine. Sie besucht seit einem Jahr sogar zwei Selbsthilfegruppen. „Ich bekomme Hilfe, die ich annehmen kann“, sagt sie. Am Anfang hätte es etwas Überwindung gekostet. Genauso, wie den Nachbarn zu erklären, warum ihr Mann auf der Straße nicht mehr grüßt. Wie lange sie die Pflege noch leisten kann, weiß sie nicht. Aber Barbara ist vorsorgend: „Ich habe ihn schon für die Kurzzeitpflege angemeldet, falls mal was mit mir sein sollte.“
Michaela Ostwaldt ist beruflich selbstständig, versorgt ihre Mutter, 91, mit Unterstützung einer Pflegekraft aus Polen. Seit fünf Jahren geht sie zu ihrer Selbsthilfegruppe im Mittelhof. Neben der Möglichkeit, zu reden oder auch mal wütend zu sein, schätzt sie die praktischen Tipps: „Hier tauschen wir uns über Grundsatzsachen aus, etwa zu den Pflegestufen oder zu nötigen Umbauten in der Wohnung.“
Das Verhältnis zu ihrer Mutter hat verschiedene Stadien durchlaufen: „Es war nicht einfach, aber jetzt ist sie wieder meine Mutter.“
Beziehung neu definieren
Auch Barbara Sawallisch musste die Beziehung zu ihrem Mann neu definieren. „Er ist jetzt mein Kind, um das ich mich kümmere“, sagt sie. Nicht alle Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, kommen so gut klar. Für sie sind die Selbsthilfegruppen gedacht. Noch immer aber sind die Hilfeangebote nicht hinlänglich bekannt. Auch die Hemmschwelle, sich anderen Betroffenen anzuschließen, kann recht hoch sein. „Wir versuchen, das zu ändern, legen unsere Info-Flyer in Arztpraxen und Sozialstationen aus, kooperieren mit den Pflegestützpunkten“, erklärt Susanne Baschinski. Apropos Hemmschwelle: „Wer nicht weiß, was ihn in einer Gruppe erwartet, kann zuvor ein Einzelgespräch vereinbaren.“
Am Freitag, den 4. September, 17.30 Uhr bis 19.30 Uhr, beginnt im Mittelhof die neue sechsteilige Selbsthilfegruppe „Durch die Trauer nach der Pflege“. Sie ist gedacht für verwitwete pflegende Partnerinnen und Partner. Wie die anderen Angebote der Kontaktstelle ist der Kurs kostenlos. uma
Autor:Ulrike Martin aus Neukölln |
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