Schüler und Lehrer der Ernst-Reuter-Oberschule wehren sich gegen Stigmatisierung

Wehren sich gegen eine Stigmatisierung und haben eine Stellungnahme der Schülerschaft  verfasst: Berkant, Amira und Tutku (von links) aus dem 13. Jahrgang der Ernst-Reuter-Oberschule. | Foto: Dirk Jericho
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  • Wehren sich gegen eine Stigmatisierung und haben eine Stellungnahme der Schülerschaft verfasst: Berkant, Amira und Tutku (von links) aus dem 13. Jahrgang der Ernst-Reuter-Oberschule.
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Gesundbrunnen. Nach einem negativen Bericht im Tagesspiegel über die Ernst-Reuter-Oberschule wehren sich Schüler und Lehrer gegen eine Stigmatisierung.

Die Toiletten sind marode, das E beim Wort Schule im Schriftzug Ernst-Reuter-Schule am Eingang fehlt; auf dem Schulhof gibt’s ab und an Stress, „Du Opfer“-Sprüche und Rangeleien. Erst vor kurzem ist ein langjähriger Lehrer mit einem Schüler im Streit so aneinandergeraten, dass es wohl Schläge gab. Genaues weiß der kommissarische Schulleiter Andreas Huth auch nicht; der Lehrer ist zumindest krankgeschrieben. 2016 gab es an der Schule elf Gewaltanzeigen.

Versinkt die Ernst-Reuter-Schule wegen dieser Vorfälle in Hoffnungslosigkeit, wie es der Tagesspiegel-Artikel suggeriert? Ist die Riesenschule mit 1100 Schülern trotz Hilfsprogrammen abgestürzt? Haben die Lehrer Angst, hier zu arbeiten? Nein, ist die eindeutige Reaktion der Schüler- und Lehrerschaft auf den Artikel „Rütlis Erben in Gesundbrunnen“ mit der Unterzeile „Schwierige Klientel, bröckelnde Bauten, frustrierte Lehrer“. „Das stimmt einfach alles nicht und beleidigt uns zutiefst“, sagt Tutku. Die 19-Jährige macht gerade ihr Abitur und will Medizin studieren. Der Beitrag mit den Rütli-Klischees hat sie so zornig gemacht, dass sie gemeinsam mit Amira und Berkant einen Brief an den Tagesspiegel geschickt hat. Viele Schüler haben das Papier, dass ironisch mit „Euer Ernst Digga?“ beginnt, unterschrieben.

"Wir sind nicht Rütlis Erben"

„Ich gehe seit acht Jahren gern in diese Schule“, sagt auch Amira. Niemand bestreite, dass es auch Probleme gibt. Die Lehrer würden alles tun, „um den Schülern den bestmöglichen Abschluss zu gewährleisten". Ihr Vorwurf an die Zeitung: "Sie stigmatisieren Schüler, die mit ihrem Abschlusszeugnis nun kaum noch Chancen haben werden, einen vernünftigen Ausbildungs- oder Studienplatz zu bekommen“, heißt es in dem Brief. Zu der anonym zitierten Lehrerin in dem Artikel, die Angst habe, schreiben die Schüler, dass sich „die Lehrer im Allgemeinen recht wohl fühlen und sich motiviert den Herausforderungen stellen.“ „Wir sind nicht Rütlis Erben, wir sind Ernst Reutis!“, endet der Brief.

Sandra Koch (29), die nach ihrem Referendariat wie etliche andere junge Lehrer auch gerne an der Reuter geblieben ist, findet die einseitige Darstellung unverschämt. Sie wolle keine Probleme wegreden, „doch mit diesem Bericht werden die Schüler stark stigmatisiert und ihnen werden zusätzliche Steine in den Weg gelegt“, so die Jahrgangsleiterin der Klasse 9. Sie hätten jetzt Probleme, Praktikumsplätze zu bekommen. Koch hat die Stellungnahme der Lehrerschaft wie die meisten der 120 Kollegen unterschrieben.

Ich kenne keinen Lehrer der Angst hat"

Die Schule erlebe derzeit einen sehr konstruktiven Aufwind. Die Lehrer zeigten tagtäglich großes Engagement trotz der schwierigen Umstände. „Ich kenne keinen Kollegen, der Angst hat“, sagt Sandra Koch. Das Klima im Kollegium sei sehr konstruktiv und alle im ständigen Austausch. Der Artikel werde der engagierten Arbeit der Lehrer und der neuen Schulleitung nicht gerecht.

Andreas Huth, seit Januar kommissarischer Chef der Schule, findet die Darstellung seiner Schule „unangemessen, unfair und einseitig“, schreibt er in einer Stellungnahme an den Tagesspiegel mit der Überschrift „Ich bin ein Reuterianer“. Er bestreitet nicht die Probleme, ärgert sich aber, dass kaum etwas zu den positiven Entwicklungen gesagt wird. So habe sich die Zahl der Schüler, die ohne Schulabschluss gehen, auf neun Prozent verringert. Die Schule hat einen „Dialograum“, eine interne Beratungsbörse, in der Berufsberater täglich über Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten informieren. Der Abidurchschnitt sei solide und werde kontinuierlich besser. Auch die MSA-Ergebnisse belegen laut Huth eindeutig, „dass wir uns mit unseren Abschlüssen nicht verstecken brauchen“. Dass die Schule in Hoffnungslosigkeit versinke, sei „rufschädigend“. Es macht den engagierten Schulleiter, der viel Lob und Unterstützung von den Schülern bekommt, zornig, „dass alle jetzt mit dem Stempel herumlaufen, dass sie von einer Looser-Schule kommen“. Das Erbe Rütlis, der Brennpunktschule in Neukölln, schlägt Huth aus. „Wir sind immer noch die Ernst-Reuter-Schule – wir lassen uns nicht preisgeben“. DJ

Wehren sich gegen eine Stigmatisierung und haben eine Stellungnahme der Schülerschaft  verfasst: Berkant, Amira und Tutku (von links) aus dem 13. Jahrgang der Ernst-Reuter-Oberschule. | Foto: Dirk Jericho
Bröckelnde Fassaden, fehlender Buchstabe: Die Reuter-Schule muss dringend saniert werden. | Foto: Dirk Jericho
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Dirk Jericho aus Mitte

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