Jochen Barthels sammelt Geld für Stolpersteine

Jochen Barthel wollte wissen, wer früher in dem Haus lebte, in dem er heute wohnt. | Foto: Kirsten Mieves
  • Jochen Barthel wollte wissen, wer früher in dem Haus lebte, in dem er heute wohnt.
  • Foto: Kirsten Mieves
  • hochgeladen von Kirsten Mieves

Prenzlauer Berg. An einem regnerischen Tag im Herbst 2006 klingelte es an Jochen Barthels Tür. Vor ihm standen zwei Frauen; Anfang 40 die eine, Ende 50 die andere, in graue Mäntel gekleidet, dunkle Haare bis zu den Schultern. Ob sie vielleicht in seine Wohnung dürften. Einmal sehen, wie sie aussieht. Nach all den Jahren.

Vor knapp 30 Jahren lebten sie - Mutter und Tochter - in Jochen Barthels Wohnung in der Stargarder Straße. Das Bett stand dort, wo Jochen Barthels Bett steht, erzählten sie, und der Schrank da drüben. Bis die Stasi kam, um die Mutter zu holen. Angeblich Fluchthelferin: zwei Jahre Gefängnis. Die Tochter, damals elf, schlug sich allein nach Leipzig durch, zu Verwandten. Die Wohnung haben beide seitdem nicht mehr betreten. Nun trieb die Erinnerung sie hierher. Eine halbe Stunde blieben sie, erzählten ihre Geschichte. Dann gingen sie wieder.

Jochen Barthel blieb bewegt zurück. Die Begegnung mit den Frauen und ihren Erinnerungen hatte ihn nachdenklich werden lassen. Er fragte sich, was sich noch in seinem Haus abgespielt haben mochte, dachte an die Zeit von 1933 bis 1945, in der aus so vielen Häusern so viele Menschen verschwanden, deportiert wurden von den Nazis, in Lager verschleppt und umgebracht.

Auch aus seinem Haus? Der Gedanke ließ ihn nicht los, und er überlegte, wie er weiteren Hausbewohnern auf die Spur kommen konnte. Schließlich fand er einen Weg. Jochen Barthel kannte die Stolpersteine, die an immer mehr Orten in Deutschland vor Haustüren in den Gehweg eingelassen sind. An jenen Orten, an denen die Menschen zuletzt gelebt haben, bevor die Nazis sie verschleppten. Die Steine tragen die Namen der Opfer, ihre Geburtsdaten, den Ort ihrer Ermordung und - falls bekannt - das Todesdatum.

Jochen Barthel meldete sich bei Gunter Demnig, dem Initiator des Stolperstein-Projektes, und es stellte sich heraus: Aus seinem Haus wurden neun Menschen von den Nazis verschleppt und umgebracht. Bei einer zehnten Person ist das Schicksal ungewiss. Es handelt sich um Gerda Wisch, 23, und Sally, 2: am 3. März 1943 nach Auschwitz verschleppt und ermordet; Helene und Fritz Cohn, 50 und 21: am 17. November 1941 nach Kaunas deportiert und getötet; Else Fuss, 44: am 24. August 1943 nach Auschwitz verschleppt und ermordet; Hans Ulrich Fuss, 20: am 24. November 1944 nach Sachsenhausen gebracht, ermordet in Neuengamme; Leo, Johanna und Georg Unger, 63, 62 und 35: am 5. September 1942 nach Riga deportiert und umgebracht. Das Schicksal von Philipp Milet ist unbekannt.

Jochen Barthel kennt nun die Opfer aus seinem Haus. Und er weiß, dass sie zu Nummern wurden in den Lagern, ohne Namen und ohne Würde. Daher möchte er ihnen ihre Namen wiedergeben und an sie erinnern: Er möchte Stolpersteine vor seinem, vor ihrem Haus.

Die Steine können dann vom Verschwinden erzählen und gegen das Vergessen stehen. Und jene, die vorübergehen, halten vielleicht kurz inne und beugen sich hinunter, um jener zehn Menschen zu gedenken.

1200 Euro benötigt Jochen Barthel für die Steine und sammelt dafür auf der Online-Spendenplattform betterplace.org.

Unter stolpersteine.betterplace.org gibt es weitere Informationen und die Möglichkeit zu spenden.
Kirsten Mieves / kmi
Autor:

Kirsten Mieves aus Mitte

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 699× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 702× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 666× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 514× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 677× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 978× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.