Rüdiger Böhringer organisiert das Flüchtlingsheim

Rüdiger Böhringer zusammen mit Issaka. Der Mann aus Niger ist einer von mehr als 100 Bewohnern in der Gürtelstraße. | Foto: Frey
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Friedrichshain. Am Tresen geht es zu wie in einem Taubenschlag. Bewohner und Mitarbeiter stehen dort. Jeder hat ein Problem. Lösen soll es der Mann, der hinter der Theke sitzt.

Denn Rüdiger Böhringer ist der Chef hier in der Flüchtlingsunterkunft in der Gürtelstraße. Seit 8. April kümmern sich er und sein elfköpfiges Team um inzwischen 104 Gäste. Sie kamen von der abgebauten Zeltstadt auf dem Kreuzberger Oranienplatz, aber nicht nur. Schon am Einzugstag gab es Probleme, weil weitaus mehr Menschen als erwartet vor der Tür standen. Wie Rüdiger Böhringer das zeitweilige Chaos meisterte, hat ihm damals bereits Anerkennung eingebracht.

Auch seither scheint der 56-Jährige den richtigen Umgangston angeschlagen zu haben. Der Alltag funktioniere einigermaßen, stellt er fest. Was er vor allem den Flüchtlingen anrechnet. Die Zimmer, maximal für vier Personen, meist mit Dusche und Kochnische, würden penibel in Ordnung gehalten, lobt der Herbergsvater. Die Unterkunft als ein Idyll zu zeichnen, liegt aber auch Böhringer fern. Schon wegen der vielen unterschiedlichen Nationalitäten, Religionen und den teilweise traumatischen Erfahrungen könne das gar nicht sein. "Aber es hat bisher keine Schlägereien gegeben."

Wenn Ärger aufkommt, werde der meist von außen hereingetragen. So als das Gerücht die Runde machte, Flüchtlinge, die in Marienfelde lebten, erhielten mehr Geld, als in der Gürtelstraße. Was natürlich nicht stimmte. Bei solchen Latrinenparolen spielten häufig angebliche Unterstützer eine unrühmliche Rolle. Die hatten auch vor dem Umzug verbreitet, registrierte Flüchtlinge würden deportiert.

Nicht nur bei solchen Problemen helfe "reden, immer wieder und mit jedem einzelnen." Wobei ihn manchmal irritiert, wie viele Wünsche und Hoffnungen sich nicht nur auf ihn fixieren. "Viele sind der Meinung, die Stadt könne alles bewerkstelligen."

Dabei kommt es immer wieder zu Unwägbarkeiten, mit denen er konfrontiert wird. Etwa, wenn neue Gäste ankommen, für die es keinen Platz mehr gibt, oder Kranke in einer Klinik nicht behandelt werden. Auch um Abwechslung kümmert sich Rüdiger Böhringer.

Kurz nach dem Einzug wandte er sich an Hertha BSC und fragte um Karten für ein Bundesligaspiel. Der Verein schickte mehr als 100 Tickets zur Partie gegen Eintracht Braunschweig. Auch die Basketballer von Alba Berlin spendierten einen Besuch in der O2 World. Seit Anfang Mai gibt es jeden Sonnabend einen Deutschkurs. Ende des Monats oder Anfang Juni ist ein Grillfest geplant. Sponsoren, die dazu etwas beisteuern wollen, sind herzlich willkommen.

Bei seinen Erzählungen vermittelt er schnell den Eindruck, als seien ihm die Bewohner inzwischen ans Herz gewachsen. Unterstrichen wird das durch Worte wie Respekt und Mitmenschlichkeit. "Es ist Wahnsinn, was manche dieser Leute erlebt haben."

Etwas sorgenvoll blickt er allerdings in die Zukunft. Noch seien die Asylverfahren nicht angelaufen. "Ich bete dafür, dass das jetzt schnell passiert." So viele Menschen zur Untätigkeit verdammt, berge die Gefahr eines Lagerkollers. "Dabei kenne ich keinen, der nicht arbeiten möchte."

Rüdiger Böhringer wenigstens für einige Minuten von dem ganzen Treiben loszueisen, war schwer genug. Jetzt warten bereits die nächsten Männer mit ihren Anliegen. Schon als in dem Haus ein Hostel untergebracht war, befand sich hier sein Arbeitsplatz. Diese Gäste habe er höchstens flüchtig wahrgenommen, erinnert er sich. Das hat sich inzwischen gründlich geändert.

Thomas Frey / tf
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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