Die Sommerfrische des jungen Karl: Marx und sein Aufenthalt auf der Halbinsel Stralau

Der markante Kopf von Karl Marx an der Gedenkstätte auf Stralau. | Foto: Thomas Frey
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Der Gast kam im April 1837 an und bezog ein Zimmer beim Fischer und Wirt Johann Gottlieb Köhler in der damaligen Dorfstraße 11. Wieder verlassen hat er das Refugium im Spätsommer desselben Jahres.

Gut fünf Monate war Karl Marx ein Bewohner der Stralauer Halbinsel. Er war damals 19 Jahre alt, beziehungsweise wurde es am 5. Mai 1837. Sein Geburtsdatum ist auch der Grund, um an diesen kurzen Lebensabschnitt zu erinnern. Denn es jährt sich 2018 zum 200. Mal.

Zahlreiche Veranstaltungen würdigen den Ahnherrn der kommunistischen Ideologie oder hinterfragen ihn kritisch. Seine Ideen haben die Welt bewegt. Ob ihm die konkreten Resultate gefallen hätten, ist zumindest zu bezweifeln.

Geboren 1818 in Trier war Karl Marx seit Oktober 1836 Student der Rechtswissenschaft an der Berliner Universität. In den folgenden Monaten plagten ihn gesundheitliche Probleme. Ein Arzt riet ihm, sich in das ländliche Umland zurückzuziehen. "So geriet ich zum ersten Male durch die ganze lange Stadt vor das Tor nach Stralow", schrieb er nach dem Einzug in einem Brief an seinen Vater. Stralau war zu dieser Zeit, wie noch lange danach, ein beliebtes Ausflugs- und Naherholungsgebiet vor den Toren Berlins. Davon zeugten vor allem zahlreiche Lokale. Die wenigen Bewohner lebten von dieser Art von Tourismus und vom Fischfang.

Die Halbinsel ist inzwischen zu einem Wohnquartier mit mehr als 5000 Menschen angewachsen. Auch auf dem Grundstück Alt-Stralau 25, der heutigen Adresse der einstigen Dorfstraße 11. Dort befindet sich ein größerer Gebäudekomplex.

Zu Fuß zur Uni Unter den Linden

Auch früher zurückliegende Veränderungen fanden nach dem Aufenthalt des jungen Marx statt. Etwa die Industrialisierung. Das einzige Gebäude, das bereits er gesehen hat, ist die Dorfkirche. Ihre Ursprünge reichen bis in die Mitte des 15. Jahrhundert, sie ist das älteste Gebäude in Friedrichshain. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ein Gotteshaus den letzten direkten Bezug zu Karl Marx' Zeit auf Stralau darstellt. War Religion für ihn doch "Opium fürs Volk".

Er hat sich, so weit bekannt, in seinem Refugium intensiv dem Studium gewidmet. Auch die Universität Unter den Linden hat er weiter besucht. Den Weg legte er zu Fuß zurück. Inspiration fand er im sogenannten "Doktorclub", einem Kreis von Gelehrten, der sich auf Stralau traf. "Hier im Streite offenbarte sich manche widerstrebende Ansicht und immer fester kettete ich mich an die jetzige Weltphilosophie, der ich zu entrinnen gedacht... Ich musste Jurisprudenz studieren und fühlte vor allem Drang, mit der Philosophie zu ringen", so in einem weiteren Schreiben an seinen Vater. Es kann als ein Beleg dafür gelten, dass der junge Karl während seiner Sommerfrische zumindest mit den ersten Bausteinen seines späteren Gedankengebäudes hantierte.

Bei allem Streben nach Erkenntnisgewinn war er auch manchem Vergnügen nicht abgeneigt. Bereits der "Doktorclub" legte Wert auf Geselligkeit und traf sich bisweilen in Gaststätten. Auch von einem Jagdausflug mit seinem Zimmervermieter wird berichtet. Und allen Anschein nach hat der Student auch die damalige Mega-Fete miterlebt – den Stralauer Fischzug. Der fand jeweils am 24. August statt und ging zurück auf ein 1574 erlassenes Fischereiverbot, das von Ostern bis zu diesem Datum, dem Bartholomäustag, galt. Das Ende dieser Frist wurde groß gefeiert. Das Ereignis nahm Dimensionen an, die nach den heutigen Verhältnissen wohl nur mit einer Verbindung aus 1. Mai, Karneval der Kulturen und Biermeile zu vergleichen ist. Es kam regelmäßig zu Saufgelagen, Schlägereien und "orgiastischem Treiben". 1873 wurde das Fest verboten. Immer wieder erlebte es eine kurze Auferstehung, während der Weimarer Republik, zu DDR-Zeiten, nach der Wende. Zuletzt waren nicht Gelage für das Aus verantwortlich, sondern fehlende Sponsoren.

Choleraepedemie beendet Aufenthalt

Kurz nach dem Fischzug muss Marx wieder in das Berliner Zentrum zurückgekehrt sein. Anlass dafür war anscheinend eine Choleraepedemie. Die Stralauer Episode umfasst nur wenige Monate im Leben von Karl Marx, das 65 Jahre währte. Aber sie wurde von denen, die sich auf seinem Fundament sahen, entsprechend hervorgehoben.

Am 1. Oktober 1964, anlässlich des 15. Bestehens der DDR, kam es zur Einweihung der Karl-Marx-Gedenkstätte auf der Halbinsel. Sie befindet sich auf einer durch Kriegszerstörungen entstandenen Freifläche auf den ehemaligen Grundstücken Alt-Stralau 17-19, unweit seines einstigen Domizils. Die Gedenkstätte besteht aus zwei Reliefstelen aus rotem Sandstein. Auf der von der Straße aus gesehen linken findet sich der markante Kopf des späteren Karl Marx im Seitenprofil. An der Rückfront ist ein Gelehrtentreffen im Gartenlokal festgehalten, wo der Denker nach realsozialistischer Interpretation bereits den Kommunismus erkläre.

Auch die Szene am zweiten Relief zieht vom einstigen Bewohner Bezüge auf spätere Ereignisse. Es bildet den auf Stralau 1901 initiierten Generalstreik der deutschen Glasarbeiter ab. Marx, so die Analogie, war auch dafür der geistige Vater.

Nicht nur diesen Ort und den wahrscheinlich bekanntesten zeitweisen Bewohner in die Historie Stralaus einzuordnen, versucht seit Ende 2017 ein Geschichtslehrpfad. Am Denkmal wie an anderen Stellen finden sich Informationsstelen. Das Monument ist in relativ akkuratem Zustand. Nur eine Art Liebesbotschaft ist dort aufgemalt. Neben einer Telefonnummer und der Bitte "Melde dich", befindet sich ein Herz.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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