Im Lebensweg von Michael Heinisch spiegelt sich die politische Wende wider

Gleich nach der Wende kaufte Michael Heinisch das Haus in der Pfarrstraße 111, um hier ein Projekt mit Jugendlichen zu realisieren. | Foto: Wrobel
  • Gleich nach der Wende kaufte Michael Heinisch das Haus in der Pfarrstraße 111, um hier ein Projekt mit Jugendlichen zu realisieren.
  • Foto: Wrobel
  • hochgeladen von Karolina Wrobel

Lichtenberg. Michael Heinisch kämpfte in den 1980er-Jahren gegen die Unfreiheit in der DDR und für einen gesellschaftlichen Dialog. Wie es zur historischen Wende kam, daran erinnert er mit anderen Zeitzeugen bei dem Festakt am 4. November um 19 Uhr in der Erlöserkirche.

"Für mich war das damals ganz klar: ich wollte, dass die Punks etwas vom Evangelium erfahren", sagt der 50-Jährige und winkt lachend ab. "Die haben mir von Anfang an deutlich gemacht, dass das Quatsch ist." Zuerst, das habe Heinisch von ihnen gelernt, müsse man zuhören.

Was die am Rand der Gesellschaft in der DDR zu sagen hatten, denen hat Michael Heinisch nicht nur gut zugehört, sondern auch das Gesagte verstanden. Hatte er sich doch selbst nie angepasst. Als fünftes Kind in einer Pfarrersfamilie in Frankfurt/Oder aufgewachsen, war er weder Pionier noch in der FDJ, schloss sich mit 15 Jahren der Friedensbewegung an, die ihm die erste unangenehme Begegnung mit der Polizei einbrachte. Das Abitur konnte sich der Pfarrerssohn abschminken, als Wehrdiensttotalverweigerer nahm er eine mögliche Haftstrafe billigend in Kauf und formulierte mit Freunden einen kühnen Gedanken - nämlich die Absicht, die DDR abzuschaffen. "Ich erlebte, dass wir alle künstlich unfrei gemacht werden. Und ich dachte, alle anderen erleben das gleiche", erinnert sich Heinisch. "Doch erst die Punks zeigten mir, dass Lebenswege auch anders sein können. Von ihnen habe ich gelernt, quer zu denken."

Als Mitarbeiter der Evangelischen Kirche kam er in das Professor-Fischer-Haus nach Lichtenberg. Hier gingen Punks ein und aus. "Sie waren an den Rand der Gesellschaft geschoben, wo auch die Kirche in der DDR stand", weiß Heinisch, der Punks, Rockern und Skins die Türen aufschloss, ihnen Räume gab und die Möglichkeit, sich auszudrücken.

"Es gab Punks, die machten Musik und solche, die Erich Mühsam lasen. Und es gab welche, die haben gestrickt. Und dann habe ich eben mitgestrickt." Masche um Masche entsponnen sich im ProFi-Haus Gespräche, in denen die unerträgliche Unfreiheit im Alltag offenbar wurde. "Es kam zu einer gelebten Solidarität von Leuten, die die DDR nicht wollte." Das eigene Vorhandensein wurde von der Gesellschaft geleugnet - ein Widerspruch entstand, der Gegenwehr produzierte. Das Wegrennen vor der Polizei, das war selbst "den niedrigsten Punks zu wenig", erinnert sich Heinisch. Doch Zusammenleben - wie war das möglich? "Dafür mussten wir die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern", sagt Heinisch.

Mit Druckermaschine, Trabbi und Kirchenschlüsseln in der Tasche machte sich Heinisch 1989 daran, die Rahmenbedingungen zu ändern. Er druckte Flugblätter, rief zu Demonstrationen auf, suchte andere durch die Offenlegung des Wahlbetrugs der SED wachzurütteln. "Spätestens durch das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking erlebte ich, was ein Staat anrichten kann." Die Übergabe eines Protestschreibens an den chinesischen Botschafter endete für ihn blutig. Er wurde krankenhausreif geschlagen. "Ich begriff, der Staat meint es ernst." Heinisch organisierte das Trommelfasten in der Erlöserkirche.

Als er am 9. November mit seinem Trabbi Flugblätter ausfuhr, vernahm er die Grenzöffnung im Radio, fuhr an die Bornholmer Straße. "Ich war neugierig. Und plötzlich ging es nicht zurück, weil die Menschen nach drüben drängten." Als ihm der Grenzer mit dem Stempel das Passfoto ruinierte, bestand Heinisch auf einen neuen Ausweis. "Ich hatte doch Termine nächste Woche, da war eine Demonstration geplant. Ich wollte doch wieder zurück!"

Zuerst ging es jedoch an den Kurfürstendamm. "Bis dahin war West-Berlin so weit weg wie Australien. Und plötzlich stand ich vor der Gedächtniskirche." Der friedliche Fall der Mauer sei für Michael Heinisch, so erzählt er, auch ein Stück Versöhnung mit der deutschen Geschichte. Dass es sich lohnt, für diesen Frieden zu kämpfen, wolle er als Vater auch seinen sechs Kindern weitergeben.

Die Lebensgeschichte von Michael Heinisch ist Teil des im Oktober im Wichern-Verlag Berlin erschienenen biografischen Bandes "1989: Fünf Männer, ein Jahr" von Amet Bick. Weitere Informationen gibt es unter www.wichern.de.
Karolina Wrobel / KW
Autor:

Karolina Wrobel aus Lichtenberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 186× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 162× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 223× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 603× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.