Wetter hat dem Roggen auf dem Kirchenacker im früheren Grenzstreifen zugesetzt

„Der Bestand ist zusammengebrochen“, sagt Michael Baumecker von der Humboldt-Uni. | Foto: Dirk Jericho
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Mitte. Bereits im zwölften Jahr haben Ackerbaustudenten der Humboldt-Universität Roggen rund um die Kapelle der Versöhnung inmitten der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße gesät und geerntet. Doch in diesem Jahr sieht's ziemlich mau aus.

Michael Baumecker kniet zwischen den Halmen und mustert die Ähren, von denen die meisten abgeknickt sind. „Der Bestand ist völlig zusammengebrochen“, sagt der Leiter der Lehr- und Forschungsstationen der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität (HU). Mit zwei Agrarstudenten und einem Techniker vom Versuchsfeld in Thyrow ist der Landwirt angerückt, um den Roggen zu ernten. Noch während der Mähdrescher vom Tieflader geholt wird, ist klar: Diesmal ist die Ernte deutlich schlechter. Der Regen hat den Roggen umgedrückt, überall sprießt Unkraut wie Melde und Ackerwinde aus dem Boden. Die Ährenheber werden es nicht schaffen, jede am Boden liegende Ähre ins Dreschwerk zu ziehen.

Irgendwie war diesmal alles zu spät. Die Saat kam erst im Oktober in den Boden, weil es zu trocken war. Und die Ernte musste um zwei Wochen wegen des Dauerregens Ende Juli verschoben werden. Auch weil es am 1. August morgens noch genieselt hatte, konnte der kleine Wintersteiger-Parzellenmähdrescher erst mit zwei Stunden Verspätung loslegen, das Getreide auf beiden Seiten der Versöhnungskapelle zu ernten. Etwa ein Drittel weniger im Vergleich zum Vorjahr ist es am Ende; Michael Baumecker schätzt den Ertrag auf 250 Kilogramm.

Die Getreidesäcke werden nun in der HU-Versuchsstation in Dahlem getrocknet und gereinigt und dann zu Mehl verarbeitet. Ein Biobäcker macht daraus Brot oder Oblaten für die Feier des Abendmahls. Besucher können kleine Leinensäcke mit dem symbolträchtigen Korn gegen eine Spende in der Kapelle der Versöhnung bekommen.

Bei dem 2000 Quadratmeter großen Roggenfeld rund um die Versöhnungskapelle geht es nicht um maximalen Ertrag. Das Getreide im früheren Todesstreifen an der Bernauer Straße ist ein Symbol. Der Bildhauer und Steinmetz Michael Spengler, der auch Kirchenältester der Versöhnungsgemeinde ist, hatte 2006 die Idee zu dem Kunstprojekt. Er wollte mit dem Kornfeld das Wachsen, Gedeihen und Vergehen darstellen.

Landwirtschaftsstudenten kümmern sich seit vielen Jahren um Aussaat, Pflege und Ernte. Auch in diesem Jahr haben Bachelor-Studenten vom Studiengang Agrarwissenschaften über das Grenzstreifen-Getreide eine Semesterarbeit geschrieben. Sie haben auf dem Minifeld Bodenproben analysiert und die Pflanzendichte berechnet, sagt Student Karl Wagner. Der 20-Jährige war zwar nicht im Kirchenacker-Team, hilft aber an diesem Mittag mit seinem Kommilitonen Moritz Birnbaum bei der Ernte inmitten der Mauergedenkstätte. „Absolut verunkrautet“, sagt Wagner beim Anblick des Ackers. „Das Wetter war schon komisch dieses Jahr“, so Birnbaum. Dann schnappen sich die beiden ihre Harken und helfen dem Mähdrescher-Piloten Heiko Störmer, der sein Gerät geschickt navigieren muss auf dem Kirchen-acker. Denn mitten im Feld markieren Metallstreifen im Boden die einstigen Grenzsicherungsanlagen, dort verläuft der Original-Postenweg und es stehen senkrecht Stahlträger, die die früheren Zaunpfeiler symbolisieren. Außerdem liegen im Boden Metallschienen, die den Grundriss der 1985 gesprengten Versöhnungskirche nachzeichnen. DJ

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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