Drei Sekunden und ein Leben ist zerstört: Deutscher Kinderverein startet berlinweite Schütteltrauma-Kampagne

Ziehen an einem Strang: Rechtsmediziner Michael Tsokos (li.) und Sänger Andreas Bourani. | Foto: Schilp
  • Ziehen an einem Strang: Rechtsmediziner Michael Tsokos (li.) und Sänger Andreas Bourani.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Neukölln. „Schreien kann nerven. Schütteln kann töten“: Das ist auf Werbeflächen in ganz Berlin zu lesen. Die berlinweite Kampagne des Deutschen Kindervereins wird auch von Gesundheitsstadtrat Falko Liecke und der Bundestagsabgeordneten Christina Schwarzer (beide CDU) unterstützt. Am 19. Juli stellten die Akteure sie bei der Stadtmission, Lenaustraße 3, vor.

Babys, die nicht zu beruhigen sind; Eltern, die die Nerven verlieren: Drei Sekunden können ein ganzes Leben zerstören. In diesem Jahr sind allein in Berlin und Brandenburg 13 Schütteltrauma-Fälle bekannt geworden, drei Säuglinge starben. Das Schütteln sei die häufigste Todesursache bei Kindern unter zwei Jahren, so Dr. Saskia Etzold von der Gewaltschutzambulanz der Charité.

Finanziert dank Sponsoren

Aufklärung sei dringend notwendig, sagte Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen Kindervereins, doch die Bundesregierung tue sich mit einer landesweiten Aufklärungsaktion schwer. „Wir wollen aber nicht nur reden, sondern handeln.“ Mit der Charité, der Firma Wall, die Werbeflächen zur Verfügung stellt, und anderen Mitstreitern habe er die Kampagne innerhalb weniger Monaten auf die Beine gestellt – finanziert dank Sponsoren und Spendengeld.

„Ich kann viel ertragen, aber nicht, dass Kinder Opfer von Gewalt werden – ausgeübt von jenen, die sie schützen sollen“, sagte Professor Michael Tsokos, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Charité und Mitautor des Buches „Deutschland misshandelt seine Kinder“. Es sei höchste Zeit, das Thema in die breite Öffentlichkeit zu bringen.

Die Folgen sind enorm

Dabei helfen will auch der Sänger Andreas Bourani als Botschafter des Deutschen Kindervereins. Das Thema sei unbequem, liege ihm aber umso mehr am Herzen. „Viele denken, ein Baby zu schütteln, sei nur eine Kleinigkeit, dabei sind die Folgen enorm. Für einen Erwachsenen wäre das so, als würde er von einem sechs Meter großen, zwei Tonnen schweren Riesen geschüttelt.“

Die Symptome eines Traumas, bei dem Nervenfortsätze im Gehirn reißen, sind von Fall zu Fall unterschiedlich und werden von den Eltern oft nicht erkannt: Krampfen, Schläfrigkeit oder Erregung, Erbrechen, Fieber, Nahrungsverweigerung. Zwar überleben rund 80 Prozent der Kinder, doch nur jedes zehnte erholt sich vollständig. Die anderen leiden unter teils schweren Folgen: Lähmungen, epileptische Anfälle, geistige Defizite, Blindheit oder Sehschwächen. „Jeder sollte versuchen, sich im Vorfeld ganz sachlich klarmachen: Wenn ich mein Baby schüttele, habe ich vielleicht ein behindertes Kind“, so Michael Tsokos. Verständnis für überforderte Eltern hat er durchaus: „Ich weiß sehr gut, dass Kinder einen völlig fertigmachen können“, sagte der fünffache Vater.

Früh Hilfe holen

Für Mütter und Väter sei es deshalb wichtig, sich Hilfe zu holen. In Neukölln gibt es dafür eine besondere Anlaufstelle: „Wir haben als einziger Bezirk eine eigene Schreibabyambulanz“, so Gesundheitsstadtrat Falko Liecke. Auch die Ehrenamtlichen der „Wellcome“-Gruppen würden entnervten Eltern von Neugeborenen beistehen.

„Entscheidend ist, dass die Erwachsenen von ihrem Stresslevel runterkommen, sich stundenweise entlasten lassen, aus der Wohnung gehen“, sagte Saskia Etzold. Und wenn das nicht möglich sei: Schallschutzkopfhörer und Oropax. Michael Tsokos: „Die Tür zumachen, Fernseher lauter stellen, das Kind mal eine Stunde schreien lassen – daran stirbt es nicht.“ sus

Die Neuköllner Schreibabyambulanz ist zu erreichen unter  0177/483 05 33, die Gewaltschutzambulanz der Charité unter  45 05 70 270. Infos: https://gewaltschutz-ambulanz.charite.de.
Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

25 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Mit zunehmendem Alter stellen sich oft auch Fragen zur Sicherheit von Narkosen. Wir beantworten Ihre Fragen gern. | Foto: Volkmar Otto

Sicherheit während der OP
Wie sicher sind Narkosen im Alter?

Im Laufe unseres Lebens steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Operation benötigen. Doch mit zunehmendem Alter stellen sich oft auch Fragen zur Sicherheit von Narkosen. Zum Beispiel können Herz-Kreislauf-Erkrankungen, schwere Lungenkrankheiten oder Demenz die Narkoseverträglichkeit beeinflussen. Wir laden Sie herzlich ein, Ihre Fragen und Bedenken mit uns zu teilen. Unser Ziel ist es, Ihnen die Angst vor der Narkose zu nehmen und Ihnen ein Verständnis dafür zu vermitteln, wie wir Ihre...

  • Reinickendorf
  • 13.03.24
  • 502× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Seinen Füßen sollte man sehr viel Aufmerksamket schenken.

Infos für Patienten
Thema: „Rund um den ganzen Fuß"

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Doch wenn Probleme auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen einen tiefen Einblick in die Anatomie des Fußes und beschäftigen sich gezielt mit Problemen wie Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen für diese häufig auftretenden Probleme....

  • Pankow
  • 06.03.24
  • 808× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Leiden Sie unter Hüftschmerzen, die Ihr Leben beeinträchtigen? Dann lassen Sie sich nicht länger quälen!  | Foto: Adobe

Quälen Sie sich nicht länger
Infoabend zum künstlichen Hüftgelenk

Leiden Sie unter Hüftschmerzen, die Ihr Leben beeinträchtigen? Dann lassen Sie sich nicht länger quälen! Wir laden Sie zu unserem Infoabend ein, bei dem Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen entdecken können, ohne sich vor dem Eingriff fürchten zu müssen. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, wird Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen führen. Erfahren Sie, wie die schonende...

  • Reinickendorf
  • 24.02.24
  • 1.218× gelesen
  • 1
Gesundheit und MedizinAnzeige
Leiden Sie unter Hüftschmerzen, die Ihr Leben beeinträchtigen? Dann lassen Sie sich nicht länger quälen!  | Foto: Adobe

Quälen Sie sich nicht länger
Infoabend zum künstlichen Hüftgelenk

Leiden Sie unter Hüftschmerzen, die Ihr Leben beeinträchtigen? Dann lassen Sie sich nicht länger quälen! Wir laden Sie zu unserem Infoabend ein, bei dem Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen entdecken können, ohne sich vor dem Eingriff fürchten zu müssen. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, wird Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen führen. Erfahren Sie, wie die schonende...

  • Reinickendorf
  • 24.02.24
  • 1.218× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.