Antonius Gockel-Böhner beherrscht die Sprache der Rehe

Unterwegs mit dem Rehflüsterer: Antonius Gockel-Böhner weiß, wie man die scheuen Waldbewohner aus der Deckung lockt. | Foto: Schubert
  • Unterwegs mit dem Rehflüsterer: Antonius Gockel-Böhner weiß, wie man die scheuen Waldbewohner aus der Deckung lockt.
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Grunewald. Das "Blatten" gehört zum Jägerhandwerk. Wer also stattliche Böcke vor die Flinte locken will, muss fiepen wie eine Ricke. Und wenn das nicht klappt, piepsen wie ein Kitz. Die Berliner Woche ging mit dem Fachmann auf Pirsch.

Julisonne brennt durch die Wipfel der Kiefern auf den Waldboden herab, trockenes Laub raschelt unter den Sohlen. Jäger Antonius Gockel-Böhner lenkt den Blick auf gebrochene Zweige und abgewetzte Rinde, denkt sich hinein in den Bock, dessen Hoheitsgebiet wir betreten. Wir sind auf der Pirsch.

Denn um die scheuesten Bewohner des Grunewalds zu sichten, ist jetzt die beste Zeit. Im Namen des Naturschutzzentrums Ökowerk will Antonius Gockel-Böhner den Begleitern etwas vorführen, was sonst dem Waidmann vorbehalten bleibt: die Kunst des "Blattens".

Dazu rupft man sich ein geeignetes Blatt, hält es so vor den Mund, dass es beim Blasen einen pfeifenden Ton erzeugt. Und pfeift tunlichst so, dass es klingt, als sei man eine paarungswillige Ricke oder ein hilfloses Kitz. Ist der Trick gelungen, galoppiert im ersten Fall ein lüsterner Bock herbei, im zweiten Fall eine besorgte Ricke - gefolgt von ihrem Bock. Nur den darf man aufs Korn nehmen. Und auch nur zu bestimmten Zeitpunkten der Saison.

Vergleicht man das hiesige Rehvolk mit solchen in ländlichen Forsten, erscheint es ungewöhnlich taff. "Die nehmen uns gar nicht richtig ernst", weiß Antonius. "Aber wir stören jetzt ihre Fete." Seit seiner Jugend, als der Vater ihn einwies in die Weihen der Pirsch, hat Gockel-Böhner sein Wissen so weit vertieft, dass der Forst vor ihm liegt wie ein offenes Buch. Als studierter Biologe begreift er sein Reich als Ökosystem, in dem jeder Eingriff folgen hat. Dabei erlegt man am westlichen Stadtrand niemals so viele Böcke, wie man zur Wahrung des Gleichgewichts eigentlich müsste.

"Auf jedes Reh, das Du hier siehst, gibt es zehn, die sich erfolgreich drücken", erzählt er. Mehr als 50 bis 60 Exemplare pro Jahr bringen die Jäger im Grunewald nur selten zur Strecke. Problematisch sind eher die unkontrollierten Verluste im Bestand - wenn Hunde die Rufe ihres Halters in den Wind schlagen und ins Unterholz preschen. "Rehe riechen für sie wie eine Tafel Schokolade. Sie müssen da einfach reinbeißen." Wenn die Hatz tatsächlich Erfolg hat und das Opfer aufschreit, sitzt der Schreck beim Angreifer so tief, dass er gleich wieder davonhetzt - und das Kitz an den Verletzungen verendet. Um solche Szenen zu vermeiden, rät Antonius allen Spaziergängern dringend zur Einhaltung der Leinenpflicht. Auch Hunde, die sich sonst gelassen geben, könne die Witterung einer Delikatesse rasend machen.

Die Witterung - sie passt heute nicht. Antonius lässt Laub herabrieseln, um die Windrichtung zu bestimmen. Wer mit dem Wind "blattet", wird einem Reh kaum weismachen können, er sei ein Artgenosse. Antonius versucht es zu Anschauungszwecken dennoch, fiept und lauscht. Nichts geschieht. Anhand der Spuren zeigt sich kurz darauf, dass ganz in der Nähe aber tatsächlich ein Bock hellhörig wurde und wohl nur wegen des menschlichen Geruchs nicht zur rufenden "Ricke" sprang.

"Wir haben ihn kirre gemacht", freut sich der Jäger über seinen glaubhaften Ruf. Wäre der Bluff aufgeflogen, würde der Bock künftig auch durch überzeugendes Fiepen nicht mehr zu täuschen sein. Dann hätten wir ihn "verblattet".

Thomas Schubert / tsc
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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