„Ich sammle das Leben“
In Kisten und Vitrinen bewahrt Peter Matuschek vom Stadtmuseum Berliner Alltagskultur

Peter Matuschek sammelt alles aus Berlin. Das Schild aus einem U-Bahnhof ist der jüngste Neuzugang der Sammlung. | Foto:  Dirk Jericho
9Bilder
  • Peter Matuschek sammelt alles aus Berlin. Das Schild aus einem U-Bahnhof ist der jüngste Neuzugang der Sammlung.
  • Foto: Dirk Jericho
  • hochgeladen von Dirk Jericho

Wo bis 1993 die Firma Cassirer Kabel produzierte, lagern seit fast 20 Jahren rund 4,5 Millionen Gegenstände aus diversen Sammlungen des Stadtmuseums. Die Poelzig-Halle ist das zentrale Depot und so etwas wie das Gedächtnis der Stadt.

Wer Peter Matuscheks Reich betritt, versinkt in Berlins Geschichte. Auf 500 Quadratmetern stapeln sich alle möglichen Gegenstände aus dem Alltag der Berliner: Geschirr, Uhren, Reklameschilder, Krückstöcke, Spinnräder, Radios, Kronleuchter, Lampen, Badewannen, Knasttüren aus Rummelsburg, Dutzende Schreibmaschinen, Ladenkassen, erste Computer, Kaffeedosen und vieles mehr. Sogar ein alter Trabant steht in der Halle. Alles, was Berlins Vergangenheit greifbar macht, wird dort archiviert und für mögliche Ausstellungen aufbewahrt. 78 000 Objekte – vom 17. Jahrhundert bis heute – hat Matuschek in seinem Depot. „Ich sammle das Leben“, sagt der Kurator der Sammlung Alltagskultur.

Jede Menge Geschirr in alten Schränken.  | Foto: Dirk Jericho
  • Jede Menge Geschirr in alten Schränken.
  • Foto: Dirk Jericho
  • hochgeladen von Dirk Jericho

Der 61-Jährige hat jedes Stück schon mal in der Hand gehabt. Was sein Lieblingsexponat ist, kann er nicht sagen. „Ich liebe alles hier“, so Matuschek. Jedes Exponat erzähle eine Berliner Geschichte. Und niemand kann sie begeisterter vortragen als der Sammlungschef. Zuletzt hat er ein Schild bekommen, dass bei der Sanierung der U-Bahn am Potsdamer Platz gefunden wurde. „Benutzung der Rolltreppe durch Juden verboten“, steht da drauf. „Daran kann sich keiner mehr erinnern“, sagt Peter Matuschek und betont, wie wichtig solche historischen Relikte sind. Eine alte Tafel von einem Café in der Wilmersdorfer Straße von 1936 hat Matuschek von der Tochter des damaligen Café-Inhabers bekommen. Das Schild „Frühstück 50 Pfennig“ hat Matuschek mit dem Bus abgeholt.

Das Frühstücksschild aus einem Cafe von 1936 hat Peter Matuschek mit dem BVG-Bus abgeholt. | Foto: Dirk Jericho
  • Das Frühstücksschild aus einem Cafe von 1936 hat Peter Matuschek mit dem BVG-Bus abgeholt.
  • Foto: Dirk Jericho
  • hochgeladen von Dirk Jericho

Die meisten Exponate zur Alltagskultur bekommt das Stadtmuseum von Bürgern angeboten. Matuschek macht sich dann persönlich auf den Weg, um zu gucken, was er gebrauchen kann. Mindestens einen Anruf bekommt der Kurator am Tag. Oft von älteren Damen, die ins Altersheim ziehen und Sachen dem Museum schenken wollen. Die Alten wollen so verhindern, dass die Kinder, die sich nicht für die Familiengeschichte interessieren, das Zeug wegwerfen. Es gibt auch Leute, die etwas im Keller finden und dem Stadtmuseum verkaufen wollen. Wenn es für die Berlingeschichte interessant ist, berät eine Kommission des Stadtmuseums über einen möglichen Ankauf. Ein Herr zum Beispiel wollte für ein großes Schild aus alliierter Besatzungszeit eine Million Euro haben. Da hat Matuschek nur gelächelt. Ein Schild von der Ostberliner Bauernpartei, dass ihm gerade aktuell jemand für 2000 Euro angeboten hat, will Berlins Geschichtssammler hingegen unbedingt haben. „Das ist eine Rarität“, sagt Matuschek und hofft, dass die Kommission zustimmt.

Lampen und Kronleuchter.  | Foto: Dirk Jericho
  • Lampen und Kronleuchter.
  • Foto: Dirk Jericho
  • hochgeladen von Dirk Jericho

Aber das meiste bekommt das Museum geschenkt. Peter Matuschek hat auch schon mal eine historische Kloschüssel mit Blümchenmuster aus dem 19. Jahrhundert abgeholt, die im Garten einer Villa am Grunewald stand. Oder eine Badewanne von Villeroy & Boch, in der die Urururgroßnichte von Fontane gebadet hatte. Das Haus gehörte ihrem Mann, der in der Nazizeit Kulturattaché von Österreich war, weiß Matuschek. Der jetzige Hausbesitzer wollte die alte Wanne loswerden und hat zum Glück an das Stadtmuseum gedacht.

Berliner Erfindung

So kommt immer weiter Neues ins Depot. „Wir bewahren das Leben“, sagt Matuschek und flitzt schon wieder zum nächsten Regal, um die „weltweit größte Sammlung elektrischer Zigarrenanzünder“ zu zeigen. „Eine Berliner Erfindung“, sagt Sammlungschef Matuschek und erzählt wie immer zu den Exponaten voller Begeisterung eine Geschichte. Als Kaiser Wilhelm dem österreichischen Kaiser stolz die Berliner Erfindung als Geschenk mitbrachte, habe der das nicht verstanden. „Das kann ich auch mit einem Streichholz anzünden“, gibt Matuschek die angebliche Antwort des Kaisers mit österreichischem Dialekt wieder.

Ein alter Trabbi aus den erstn DDR-Jahren. | Foto: Dirk Jericho
  • Ein alter Trabbi aus den erstn DDR-Jahren.
  • Foto: Dirk Jericho
  • hochgeladen von Dirk Jericho

Die Sammlungen der Stiftung Stadtmuseum Berlin lagen bisher hauptsächlich im Märkischen Museum. Seit Eröffnung der Poelzig-Halle im Spandauer Ortsteil Hakenfelde als zentrales Depot des Stadtmuseums 2004 liegen dort etwa 4,5 Millionen Objekte zur Kultur und Geschichte der Stadt. Die Bestände waren bis dahin über die ganze Stadt verteilt. Neben dem Hausarchiv und der Bibliothek beherbergt das Depot rund 40 Sammlungen, Restaurierungswerkstätten sowie eine Tischlerei. Die Sammlungen gehören zu den größten stadt- und kulturhistorischen Sammlungen in Deutschland. In der Poelzig-Halle arbeiten knapp 50 Mitarbeiter – Wissenschaftler, Sammlungsleiter, Depotwarte und Restauratoren. Ausgewählte Objekte werden anlässlich wechselnder Dauer- und Sonderausstellungen in den sechs Museen der Stiftung Stadtmuseum sowie in Zusammenarbeit mit anderen Museen präsentiert. Die Objekte stehen zudem der wissenschaftlichen Forschung und anderen Museen als Leihgaben zur Verfügung.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

48 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 254× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 324× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 317× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 170× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 372× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 697× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.