Im Schatten des Bruders
Wie Bruno war auch Max Taut ein bedeutender Architekt – zeigt der Schulkomplex am Nöldnerplatz
Fällt im Zusammenhang mit Architekturgeschichte der Name Taut, dann denken viele gleich an Bruno – den Schöpfer bedeutender Wohnbauprojekte der 1920er-Jahre. Unter anderem aus seiner Feder: Hufeisen- und Tuschkastensiedlung in Berlin. Doch auch der jüngere Bruder Max hat Spuren aus Stein und Stahl hinterlassen. Etwa nahe dem Nöldnerplatz, wo ein Gebäude heute seinen Namen trägt. Etliche Schülergenerationen gingen dort schon ein und aus.
Das richtige Klassenzimmer zu finden, fiel anfangs nicht leicht. Manch Neuling irrte ratlos durch die Gänge des asymmetrisch geschnittenen Schulgebäudes. Drinnen blieb es fast immer kühl, weshalb es in der Erweiterten Oberschule (EOS) „Immanuel Kant“ so gut wie nie hitzefrei gab. Das Gegenteil schon. Wenn die marode Heizung bei Dauerfrost endgültig streikte, sank die Temperatur in den Räumen schnell unter 18 Grad. Dann hatte die Direktion ein Einsehen und schickte ihre Schüler nach Hause. Den Sommer versüßte man sich anders. Statt auf den öden Pausenhof strömten die Abiturienten zur Eisdiele an der Ecke. Dass sie das Schulgelände vor Unterrichtsschluss eigentlich nicht verlassen durften, scherte niemanden – auch nicht die Lehrer.
Welch eine spezielle „Penne“ sie besuchten, wussten die meisten Jugendlichen, die in den 1980er-Jahren zur Kant-EOS gingen. Doch den Schöpfer des Gebäudes, in dem sie diese besondere Schulzeit verbrachten, kannten damals die wenigsten. Das dürfte sich geändert haben. Heute sitzt das Immanuel-Kant-Gymnasium ein paar Schritte weiter in der Lückstraße, und das Schulgebäude zwischen Fischerstraße und Schlichtallee beherbergt das Oberstufenzentrum für Versorgungs- und Reinigungstechnik: die Max-Taut-Schule samt gleichnamiger Aula.
Gemeinsames Architekturbüro
So wird der Architekt des außergewöhnlichen Ensembles inzwischen doch gewürdigt. Noch immer scheint der 1884 geborene Max Taut etwas im Schatten seines vier Jahre älteren Bruders Bruno zu stehen. Dabei teilten sich die beiden einst nicht nur ein Architekturbüro. Max überlebte Bruno um fast 30 Jahre und schuf in dieser Zeit selbst eine ganze Reihe bedeutender Bauten.
Die Brüder wurden in Königsberg geboren, beide besuchten dort zunächst eine Baugewerkschule. Max arbeite anschließend in diversen Architekturbüros und wirkte an städtischen Projekten mit, 1913 trat er in die bereits bestehende Sozietät von Bruder Bruno und Franz Hoffmann ein. Der erste Weltkrieg sorgte schon bald für eine Schaffenspause, Max musste an die Front. Die Blütezeit des Büros kam ab Mitte der 1920er-Jahre. Max Taut baute einige vielbeachtete Häuser, darunter das Verbandshaus der Deutschen Buchdrucker in Kreuzberg oder die Großbäckerei der Konsumgesellschaft in Spandau. Auf der Ostseeinsel Hiddensee schuf er zwischen 1922 und 1925 ein paar hübsche Sommerhäuser, von denen keines dem anderen glich.
Während Bruno Taut bereits 1938 in Istanbul starb, verbrachte Max den überwiegenden Teil der NS-Zeit in Chorin nördlich von Berlin, bekannt durch das gleichnamige Kloster. Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte er sich als Stadtplaner am Wiederaufbau. Von 1945 bis 1953 war er Professor an der Berliner Hochschule für bildende Künste, heute UdK. Er entwarf Gebäude für Gewerkschaften, baute an Siedlungen und Typenhäusern mit. Taut war Mitglied im 1949 gegründeten Architekturausschuss für den Ausbau der Bundeshauptstadt Bonn. Mit 80 Jahren erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Max Taut starb 1967 in Berlin, sein Grab befindet sich auf dem Klosterfriedhof in Chorin.
Denkmal der Klassischen Moderne
Der denkmalgeschützte Schulkomplex an der Schlichtallee und Fischerstraße wurde nach seinen Entwürfen von 1927 bis 1932 errichtet – für ein Lyzeum, eine Mittel- und eine Berufsschule. Das Gebäude gilt international als Beispiel für das Neue Bauen. Außerdem zählt es zu den größten Schulbauprojekten der Weimarer Republik. Die Aula – ein Denkmal der Klassischen Moderne – wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Ihre Reste blieben jahrzehntelang nur notdürftig gesichert und abgesperrt.
Die Kant-EOS konnte den Gebäudeteil nie nutzen. Weil aber schon Max Taut sie als öffentliche Aula konzipiert hatte, wurde die Halle von 2003 bis 2007 restauriert und mit moderner Technik ausgestattet. Sie gehört zwar zum Oberstufenzentrum, nach dem Unterricht, am Wochenende und in den Ferien wird sie aber auch für öffentliche Veranstaltungen genutzt. In den trapezförmigen Raum passen rund 800 Zuschauer von Konzerten, Theateraufführungen und ähnlichen Events. Auch die Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung tagt in der Max-Taut-Aula.
Autor:Berit Müller aus Lichtenberg |
Kommentare