Kleingärtner rüsten sich für ihre Art des Wahlkampfs
Annmarie kniet sich über die zerfurchte Ecke des kleinen Gartens, pult im lockeren Boden. Und dann hat sie ihn: den Regenwurm. Annmarie lacht auf, als er sich in ihren Händen krümmt. "Mir gefällt es hier so viel besser als in der Stadt", ruft sie ihre Mutter zu. Dann setzt sie das Würmchen wieder zurück in die Erde, auf der sie die glücklichsten Stunden ihrer Kindheit verbrachte. Boden, der zukünftig vielgeschossige Wohnhäuser tragen soll.
Annmarie will davon nichts wissen. Für sie ist die Kleingartenkolonie Oeynhausen das Größte. Die Achtjährige ist Laubenpieperin in dritter Generation. Sie liebt das Häuschen, das kleine Getier, die Bäume, welche sie zu Weihnachten und Ostern mit Schmuck behängt.
"Wir haben diesen Garten von meinen Eltern übernommen" sagt Mutter Danuta Friesel. "Ich selbst bin im Kleingarten groß geworden." Zweimal wurde die junge Familie schon vertrieben. Erst aus der Anlage am Preußenpark, dann aus der Kolonie Württemberg. Jetzt wackelt Oeynhausen.
Manchen Parzellennutzern wird langsam bange, andere blicken unbeirrt nach vorne, säen einem möglichen Schlussstrich zum Trotz. Sie vertrauen auf ihren Vorsitzenden Alban Becker, die Bürgerinitiative zur Rettung ihrer Kolonie. Vertrauen auf Rechtsgutachten und Juristen. Darauf, dass es Bezirkspolitiker wirklich so gut mit ihnen meinen, wie sie beteuern. Vom Senat haben sie ohnehin kaum etwas zu erwarten.
Hätte man Alban Becker vor einigen Jahren gesagt, er würde um das Überleben eines Sammelsuriums von Lauben und Beeten kämpfen - er hätte gelacht. Becker ist noch neu im Reich der Laubenpieper und Selbstversorger. Er liebt es aber nicht weniger als jene, denen die Sonne viele Jahre Röte in den Nacken brannte. Und er weiß, dass er 650 Vereinsmitglieder nicht in den Kampf führen kann, als seien es Wutbürger.
"Gärtner tun sich schwer damit, auf die Straße zu gehen. Das Demonstrieren liegt ihnen nicht", sagt der 58-jährige Angestellte. Aufrütteln muss er sie trotzdem. In seinem kleinen Reich stehen 302 Parzellen auf der Kippe. Ob deren Gefährdung langt, um einen 300 000-Einwohner-Bezirk auf die Barrikaden zu bringen? Becker glaubt daran.
Mit Ständen auf Wochenmärkten, einem Film im Internet - so will man Stimmberechtigte für den Erhalt des Paradieses hinter der Stadtautobahn gewinnen. In Westend wird es wohl mehr Gehör geben als in Grunewald. Öffentlich vorsprechen will man überall. "Wir können anderen Nutzern von Freiräumen klarmachen, was auf sie zukommt", meint Becker. Er will Bürgern sagen, dass der Bezirk Kaltluftschneisen braucht. Und öffentlich begehbare Erholungsstätten, Rückzugsorte für Familien.
Oeynhausen, dieses eigentümliche Fleckchen Berlin, benannt nach einem Kurort, erlebt in diesem Jahr sein 110-jähriges Bestehen. Becker und seine Mitstreiter werden die Korken knallen lassen. Dabei geht es nicht so sehr um das Ob, sondern um das Wann. Der Vorsitzende wartet in seinem Büro, die Chroniken der Kolonie vor sich auf dem Tisch. In seinem Gesicht steht die Zuversicht eines Mannes, dessen Karten noch nicht alle auf dem Tisch liegen: "Wir feiern, wenn wir sicher sind."
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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