Zu dicht, zu laut, zu grau
Planungswerkstatt kritisiert hohes Tempo bei der Entwicklung des Megavorhabens Siemensstadt 2.0

Neben dem Siemens-Verwaltungsgebäude am Rohrdamm soll sich künftig der Eingang zur Siemensstadt 2.0 befinden. | Foto: Thomas Frey
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Die Planungen für die Siemensstadt 2.0 werden mit Tempo vorangetrieben. Am 6. November endete die frühzeitige Bürgerbeteiligung. Für den ersten Bauabschnitt soll 2021 die Planreife erreicht werden. Jedoch ist gerade das Tempo ein Kritikpunkt der Planungswerkstatt Neue Siemensstadt. Sie sieht Eile bei diesem Mammutvorhaben fehl am Platz.

Die Planungswerkstatt ist eine im März 2019 gegründete Vereinigung, in der diverse Akteure, darunter Planer, Mitarbeiter unterschiedlicher Einrichtungen und Anwohner aus der Siemensstadt, mitmachen. Weitere Mitstreiter sind willkommen. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie gab es regelmäßige Treffen, aktuell findet der Austausch vorwiegend online statt. Einschränkungen, die aber nicht verhinderten, dass die Planungswerkstatt zum Abschluss der frühzeitigen Bürgerbeteiligung eine eigene 24-seitige Bestandsaufnahme vorlegte. Über weite Strecken handelt es sich dabei um einen Verriss der bisher bekannten Ideen. Gleichzeitig werden mögliche Alternativen geliefert.

Defizite bei Grünflächen

Der geplante Wohnungsbau sei nicht nur viel zu dicht, sondern werde auch den Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse nicht gerecht, lautet ein Einwand. Das geplante Quartier verfüge kaum über direkte Verbindungen zur Nachbarschaft. Auch wird der Bezug der Neuen Siemensstadt zur umliegenden Bebauung weitgehend vermisst. Bei geplanten Grünflächen sieht die Werkstatt ebenfalls Defizite. Und das versprochene Mehr an öffentlichen Einrichtungen, etwa für die soziale Infrastruktur, erweise sich bisher als wenig detailliert.

Ein besonderes Augenmerk wird dem Thema Verkehr und Mobilität gewidmet. Selbst die Wiederinbetriebnahme der Siemensbahn findet hier keine Gnade. Ihre geplante Fertigstellung im Jahre 2029 komme einerseits viel zu spät, andererseits sorge die Trasse für zusätzlichen Lärm. Und speziell der Streckenabschnitt zwischen den Bahnhöfen Siemensstadt und Gartenfeld wirke als weitere Barriere. Der Gegenvorschlag: Eine Verlängerung der U-Bahnlinie 2 von Ruhleben bis Gartenfeld und darüber hinaus bis zum Areal des ehemaligen Flughafens Tegel.

Umstieg auf elektrische Kleinstbusse

Auch beim Autoverkehr setzt das Werkstatt-Papier andere Prämissen. Die Nonnendammallee ist bei ihnen keine Hauptmagistrale mehr, sondern soll zwischen dem Einzelhandelszentrum Siemensstadt und der Paulsternstraße ein beruhigter Bereich mit Vorrang für Fußgänger und hoher Aufenthaltsqualität werden. Nur Anlieger, Lieferanten, Rettungswagen und Taxis dürften dort noch passieren. Außerdem könnte es gegebenenfalls eine Busspur oder Straßenbahntrasse geben. Der Durchgangsverkehr würde stattdessen nicht nur nördlich über den schon für einen vierspurigen Ausbau vorgesehenen Saatwinkler Damm geleitet werden, sondern auch im Süden sollte die Verbindung Motardstraße und Wohlrabedamm nach Ansicht der Werkstatt auf zwei Fahrstreifen je Richtung erweitert werden. Außerdem schlägt sie an den U-Bahnhöfen Mobility-Hubs vor. Sie sollen zum „Umsteigen auf autonom fahrende, elektrisch betriebene Kleinstbusse für die ‚letzte Meile‘ einladen“.

Siemensstadt 2.0 (rosa), benachbarte Wohngebiete (blau) und geplante Großprojekte in der Umgebung (orange). | Foto: Copyright: Planungswerkstatt Neue Siemensstadt
  • Siemensstadt 2.0 (rosa), benachbarte Wohngebiete (blau) und geplante Großprojekte in der Umgebung (orange).
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Manche ihrer Ideen wären vielleicht ebenfalls zu hinterfragen, lässt die Initiative durchblicken. Denn niemand – „nicht Siemens, nicht wir, kein genialer Kopf“ – könne ein solches zukunftsorientiertes Quartier aus dem Ärmel schütteln. Zudem sei es eingebettet in weitere Großvorhaben der Umgebung – auf der Insel Gartenfeld, in der Wasserstadt und nicht zuletzt am Flughafen Tegel. Um dieser Bedeutung gerecht zu werden, verlangt die Planungswerkstatt deshalb „eine internationale Bauausstellung zu initiieren“.

Dazu wird es wahrscheinlich nicht mehr kommen. Was in den kommenden Jahren ansteht, ist eher die Verhandlung vieler Planungsdetails – auch in der sogenannten Infobox, die mit dem ersten Bauabschnitt entstehen und außer von Siemens auch von Akteuren aus dem Kiez bespielt werden soll. Diese Zusage immerhin, so die Planungswerkstatt, werde von ihr „ausdrücklich begrüßt“.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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