Bücherbox am Gleis 17 eröffnet am 17. November
Mehrfach hatten wir bereits über die Besonderheit des öffentlichen Bücherregals berichtet, das Professor Konrad Kutt in Form einer Telefonzelle nach Berlin gebracht hatte. Er gründete nach seiner Pensionierung in der Trabener Straße 14b das Institut für Nachhaltigkeit in Bildung, Arbeit und Kultur. Dort setzt er seine Erfahrung in der Berufsausbildung mit der Idee fort, die Einheit von Ökologie, Ökonomie und Gemeinnutz mit der Lehrausbildung zu verbinden. So werden nicht mehr benötigte Telefonzellen von Lehrlingen zu öffentlichen Büchertauschboxen umgebaut. Mit der Bücherbox am S-Bahnhof Grunewald kommt noch eine politische Ebene hinzu: der Bezug zum Gleis 17. Zwei Regale sind dort Literatur vorbehalten, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt. "Die politische Bildung läuft in der Ausbildung eher nebenher. Mit diesem Projekt ist es gelungen, sie unmittelbar mit der Berufsausbildung zu verbinden", sagt Konrad Kutt, der mit der Zeitzeugin Katharina Ehrlicher in die Ausbildungsstätten gegangen ist, wo sie von ihrem Erlebnis am Gleis 17 berichtete.
Katharina Ehrlicher ist die Tochter des Konzertpianisten und Orgelbauers Herbert Schulze. Der hatte als herausragender Interpret der "entarteten" Musik und als Kommunist Berufsverbot, fand aber als Kirchenmusiker auf Betreiben Hugo Distlers im evangelischen Johannesstift eine Anstellung als Kirchenmusiker. Dort schloss er sich der Bekennenden Kirche an und leistete an der Seite von Persönlichkeiten wie Martin Niemöller, Harald Poelchau, Helmut Gollwitzer und Hilda Heinemann Widerstand. Auch Katharina Ehrlicher war daran beteiligt. Sie fütterte als Zwölfjährige den gleichaltrigen Frank Michael Beyer durch. Der wurde von den Nationalsozialisten zum Juden deklariert und ihm deswegen die Ausbildung zum Musiker untersagt. Ihr Vater unterrichtete ihn dennoch so gut, dass er später Direktor der Sektion Musik der Akademie der Künste wurde. Einmal wöchentlich brachte Katharina Ehrlicher Speisen und Nachrichten zu einer jüdischen Familie in der Kantstraße. Eines Tages stand sie vor der versiegelten Tür. Nachbarn berichteten, dass die Familie zum Abtransport zum Bahnhof Grunewald gebracht worden sei. Sie eilte hin, aber es war zu spät. Die Straßen waren menschenleer und die Rollläden heruntergelassen.
Die Jugendlichen waren von ihren Erzählungen beeindruckt. Sie gaben aber der Widerstandskämpferin auch einiges zu bedenken. Wie alle jungen Menschen auf der Welt wollen auch die deutschen Jugendlichen stolz auf ihre Heimat sein. Doch ständig wird von ihnen verlangt, sich für die Verbrechen der Nazis zu schämen. "So wird mancher Jugendliche radikal, weil er sich den Stolz auf sein Land nicht verbieten lassen will. Es wird Zeit, dass wir darüber nachdenken."
Autor:Lokalredaktion aus Mitte |
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