Corona macht die Westernstadt zur Geisterstadt
Ruhe im Saloon

Ralf Keber vor Mary’s Saloon, dem Herzstück der Westernstadt. | Foto: Thomas Frey
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Das Eingangstor ist verrammelt. Nach dem Klingeln wird es aber geöffnet. „Bürgermeister“ Ralf Keber, in diesem Revier „Jack Hunter“ genannt, gibt Einlass in seine Gemeinde. Die ist menschenleer.

Seit Mitte März ruht auch der Betrieb in „Old Texas Town“, der Westerstadt an der Paulsternstraße. Unfreiwillig wirkt die Szenerie deshalb wie in einem Western-Drama. Kein Gewusel vor der Bank, der Kirche, nicht einmal im Gefängnis sitzt noch jemand. Die Museen sind dicht und das Barbecue bleibt kalt. Ralf Keber steht auf der Westernstraße und vermittelt von weitem ein Bild wie weiland Gary Cooper im Film „12 Uhr mittags“. High Noon auch hier. Und beim Termin vor Ort geht es in Richtung dieser Uhrzeit. Gary Cooper wartete damals auf eine Gangstertruppe, die er weitestgehend allein zu Fall bringen wird. Jack Hunter kämpft gegen den Feind Corona. Und der ist noch schwerer zu besiegen, als eine Gruppe von Gegnern.

Vom Vermessungsingenieur
zum "Bürgermeister"

Old Texas Town eröffnete 1973 am heutigen Standort. Seither hat es auch manche schwierige Phasen gegeben. Ursprünglich rund 16.000 Quadratmeter groß, umfasst das Gelände heute etwa 11.000 Quadratmeter. Ein Brand im Dezember 2002 zerstörte einen Teil des Ensembles. Es war gleichzeitig der Anlass für Ralf Keber dem Verein der Westernfreunde beizutreten. Der heute 62-Jährige, ehemalige Vermessungsingenieur („wie Old Shatterhand“) weilte wegen des Schadens berufsbedingt vor Ort. Und blieb. Nach dem Tod des legendären Vorsitzenden Fritz Walter („Ben Destry“) wurde er 2008 dessen Nachfolger.

Auf der Habenseite liegt vor allem der mittlerweile entstandene Kult-Charakter, den das Areal bei Fans US-amerikanischen Brauchtums genießt. Den Soundtrack dazu liefert seit 40 Jahren die Gruppe Truck Stop mit ihrem einstigen Hit „Old Texas Town, die Westernstadt liegt mitten in Berlin“. Das gilt zwar nicht geografisch, aber auf der Landkarte ihrer Anhänger. In diesem Jahr sollte eigentlich der 70. Geburtstag des Vereins begangen werden. Die Feier fiel natürlich erst mal aus, wie so vieles andere. Ob Feuer oder Revierkämpfe, damit muss im Wilden Westen gerechnet werden. Aber nicht unbedingt mit einem Virus.

Macht eine Westernstadt
auf Abstand Spaß?

Es zieht auch im Verantwortungsbereich des „Bürgermeisters“ Verwerfungen nach sich. Er rechnet vor: Rund 60.000 Euro Einnahmeausfälle seit dem Lockdown. Gleichzeitig Kosten, die trotzdem weiter laufen, etwa jährlich 6000 Euro Straßenbeitrag. Ja, es werde überlegt, zumindest Teile wieder zu eröffnen. Gleichzeitig dagegen gestellt, ob das wirklich eine gute Idee sei, unter all den einschränkenden Hygienevorgaben. Denn wer in dieses Refugium zwischen benachbartem Gewerbe- und Einkaufsgebiet komme, der suche neben Spuren US-amerikanischer Tradition und Geschichte nicht zuletzt Spaß.

Vor allem im Saloon, dem Herzstück der Westernstraße. 200 Personen „minimum“ finden hier Platz. Aktuell sind die Stühle hochgestellt. Natürlich sei das ein Ort, wo sich Menschen, nahe kommen, sagt Ralf Keber. Beim Whiskey an der Bar ebenso wie auf der Tanzfläche, wo Country, aber nach Mitternacht auch andere Stilrichtungen einheizen. Solche Veranstaltungen mit reduzierter Besucherzahl und unter Abstandsregeln anzupreisen ergebe keinen Sinn. „Wir sind da in der gleichen Situation, wie die ganzen Clubs in der Stadt“. Deshalb herrscht weiter Ruhe im Saloon.

Ein bisschen was gespart

Zusammen gefasst heißt das, einen langen Atem im hier weiter extistierenden Lockdown zu beweisen. Demnächst werde es eine Mitgliederversammlung geben, bei der auch überlegt werde, was vielleicht machbar sei, kündigt der Vorsitzende an. Denn natürlich würden manche inzwischen etwas unruhig. Rund 30 Aktive kümmern sich normalerweise um den Betrieb. Derzeit bleibt ihnen nur, einige Ausbesserungsarbeiten zu erledigen. Banken hätten auch schon Hilfe in Form von Krediten angeboten. Ralf Keber hat sie abgelehnt. „Was bringt es, wenn uns die Welle dann etwas später erfasst.“ Er setzt vielmehr auf einen Beschluss, den er in Zeiten durchgesetzt hat, als Corona höchstens als Begriff für eine mexkanische Biermarke geläufig war. Nämlich eine Art „Aktion Notgroschen“. Entstandene Gewinne wurden größtenteils angespart. Als Polster, sollten schwierige Phasen kommen oder etwas unvorhergesehenes passieren. Dabei dachten die Westernfreunde an vieles, nur nicht an eine Pandemie. Inzwischen sei da einiges zusammen gekommen. Das trage eine Weile. Aber auch nicht ewig.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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