Ort der Erinnerung: Der Jüdische Friedhof in Weißensee
Weißensee. Der Jüdische Friedhof in Weißensee ist ein Stück deutsch-jüdischer Geschichte. Und er ist ein Ort, an dem sich immer wieder Entdeckungen machen lassen.
Die Regisseurin Britta Wauer hat sich so davon faszinieren lassen, dass sie ihm einen Dokumentarfilm gewidmet hat: "Im Himmel, unter der Erde" (2011). Sie hat Menschen wie Bernhard Epstein aus Florida begleitet, dem die Tränen kamen, als er zum ersten Mal vor dem Grab seiner Großmutter stand. Für manche Familien sind die Gräber das Einzige, was an ihre Angehörigen aus der Zeit vor dem Holocaust erinnert.
Viele kommen und legen einen Stein auf das Grab. Nur auf wenigen Gräbern stehen Blumen – meistens von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die erst in den vergangenen Jahren bestattet wurden. Denn Begräbnisse gibt es nach wie vor und deshalb auch modernere Grabsteine – wie den für den 2001 verstorbenen Schriftsteller und Alterspräsidenten des Deutschen Bundestags, Stefan Heym.
Es gibt Grabplatten, die nicht viel größer sind als ein Zeichenblock, und Mausoleen von der Grundfläche einer Einzimmerwohnung. Der jüdische Friedhof ist mit einer Fläche von gut 42 Hektar der größte Europas, der noch genutzt wird. Mehr als 116 000 Bestattungen hat es hier inzwischen gegeben. Seit 1977 steht er unter Denkmalschutz.
Der Erste, der hier die ewige Ruhe gefunden hat, war am 22. September 1880 Louis Grünbaum, zu Lebzeiten Leiter des jüdischen Altersheims. Damals war Weißensee noch ein Dorf vor der Stadtgrenze Berlins. Im Grünen liegt der Friedhof noch immer – oder besser: Er ist selbst ein Waldstück mitten in der Stadt. Hier hört man einen Specht klopfen, da eine Amsel singen. Weit hinten läuft ein Fuchs über den Weg.
Aber der Friedhof ist keine Parklandschaft wie andere. Am Eingang erinnert ein Rondell an die Opfer des Holocausts. Dort sind die Namen etlicher Konzentrations- und Vernichtungslager zu lesen. Und an der kleinen Mauer dahinter sind Gedenktafeln angebracht – für Holocaustopfer, die nirgendwo einen Grabstein haben.
Über den Jüdischen Friedhof zu laufen, hinterlässt ein Verlustgefühl: Der jüdische Teil der deutschen Gesellschaft ist mit dem Holocaust so gut wie verschwunden. Namen wie Maybaum und Oppenheimer, Bernstein, und Wiesenthal gab es einmal in fast jeder Stadt. Auf dem Friedhof liest man sie immer wieder, auf den Klingelschildern nicht mehr.
Auch im Kaiserreich gab es Antisemitismus. Aber viele Berliner Juden waren doch respektierte Nachbarn, manche davon geachtet und geehrt, einige berühmt. Samuel Fischer gehörte sicher zu dieser Kategorie, der Gründer des S. Fischer Verlags. Sein Grabmal findet sich in Weißensee genau wie das von Rudolf Mosse, einem der wichtigsten Zeitungsverleger im Kaiserreich, Gründer des "Berliner Tageblatts".
Oder das von Berthold Kempinski – auf den die weltberühmte Hotelgruppe zurückgeht. Im Berlin der Gründerzeit machte er mit einem Restaurant auf mehreren Etagen von sich reden. Und der Schriftsteller Kurt Tucholsky hat dem Friedhof ein melancholisch-schönes Gedicht gewidmet. Seine Eltern haben hier eine Grabstätte – seine Mutter starb 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt.
Autor:Ratgeber-Redaktion aus Mitte |
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