Über Binnendünen, Stalins Angst vor Attentaten und den "Sputnik"
Alles beginnt ein wenig provisorisch: Im Jahr 1854 macht die Niederschlesisch-Märkische-Eisenbahn zum ersten Mal Halt in Karlshorst - am Bahnwärterhäuschen an der verlängerten Waldowallee. Genau 40 Jahre später eröffnet der "Rennbahnhof", ein recht großer Kopfbahnhof westlich der heutigen Treskowallee, der vor allem amüsierwillige Pferdefreunde an- und abtransportiert.
In unmittelbarer Nachbarschaft geht am 1. Mai 1895 der "Haltepunkt Carlshorst" der Vorortstrecke Berlin-Fürstenwalde in Betrieb. Doch er ist von Anfang an zu klein für den wachsenden Verkehr. Die Betreiberin, die Schlesische Bahn, beschließt deshalb, auf der gegenüberliegenden Seite der Treskowallee eine neue Station, den heutigen S-Bahnhof, zu bauen. Und weil eine ebenerdige Trasse immer mit Warterei vor Schranken verbunden ist, kommt man schnell auf die Idee, einen Damm für die Bahn aufzuschütten.
Das notwendige Baumaterial findet sich quasi vor der Haustür - in Form der Krähenberge. Diese Binnendünen (gelegen an der heutigen Junker-Jörg- und Karl-Egon-Straße) sind eiszeitlichen Ursprungs und bestehen aus fast reinem Sand, daher auch die Bezeichnung "märkischer Schnee". Winters sorgen die rund sieben hohen Hügel für Rodel-, sommers für Buddelfreuden. Im Jahr 1896 bestaunen Groß und Klein von dort aus jeden Abend die Feuerwerke der Treptower Gewerbeausstellung.
Doch für das Hochlegen der Bahn opfern die Karlshorster ihre Krähenberge: 57 000 Kubikmeter Sand werden in den Jahren 1900 und 1901 zur Großbaustelle gekarrt.
Die Eröffnung des Bahnhofs feiern die Karlshorster am 1. Oktober 1902. An diesem Tag wird auch die zweigleisige Strecke Schlesischer Bahnhof (heute: Ostbahnhof)-Karlshorst-Erkner eröffnet. Damals ziehen noch Dampfloks die Waggons, doch die Trasse wird bald die erste elektrisch betriebene sein: Am 11. Juni 1928 halten die ersten Vorortzüge in Karlshorst (erst in den 30er-Jahren werden sie S-Bahn genannt).
Nach dem Zweiten Weltkrieg nageln Bahnarbeiter die Gleise auf russische Breitspur um: Stalin hat darauf bestanden, umsteigefrei zur Potsdamer Konferenz zu reisen. Ein Flugzeug zu besteigen, lehnt er strikt ab - ständig fürchtet er Attentate. So lässt Stalin die gesamte Bahnstrecke Moskau-Potsdam streng bewachen und fährt am 16. Juli 1945 mit seinem Sonderzug durch Karlshorst. Am 3. August kehrt er über diesen Weg zurück.
Im September sind die Gleise bereits wieder auf Normalspur umgebaut. Die Trasse ist die wichtigste Verbindung in die Sowjetunion und muss zweispurig bleiben. Die Zivilbevölkerung hat davon nichts: Die beiden Vorortgleise werden demontiert, und erst Anfang 1948 fährt wieder eine S-Bahn durch Karlshorst.
Der Bahnhhofszugang unter der Brücke wird 1951 im Zusammenhang mit dem sowjetischen Sperrgebiet zugemauert und durch einen Südausgang ersetzt, in dem bisher die Fahrkartenschalter untergebracht waren. Erst im Mai 2015 - nach dem Neubau der Brücke über der Treskowallee - öffnet der alte Eingang wieder.
Aber in Karlshorst hält nicht nur die S-Bahn; es gibt auch einen Regionalbahnsteig. Er wird kurz nach dem Mauerbau 1961 eingerichtet. Weil die S-Bahn nämlich nicht mehr durch West-Berlin nach Potsdam fahren kann, müssen neue Pendelzüge zwischen Ost-Berlin und Potsdam über den Außenring geleitet werden. Fast eine Stunde dauert eine Fahrt. Einen Namen für den Zug, der einen Teil West-Berlins umkreist, findet der Volksmund schnell: Nach dem ersten künstlichen Erdsatelliten wird er "Sputnik genannt.
(Quelle: Günter Toepfer: "Verliebt in Karlshorst")
Alle Artikel unserer kleinen Serie "120 Jahre Karlshorst" finden Sie hier.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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