Eine Schlagzeile war der Auslöser
Lehrerin mit neuem Konzept wurde von Shitstorm überrascht

Für Franziska Geipel endet ein turbulentes Jahr 2019. Die Aufregung über ihre AG findet sie noch immer "absurd". Ihren Weg geht sie jedoch unbeirrt weiter. | Foto: Philipp Hartmann
  • Für Franziska Geipel endet ein turbulentes Jahr 2019. Die Aufregung über ihre AG findet sie noch immer "absurd". Ihren Weg geht sie jedoch unbeirrt weiter.
  • Foto: Philipp Hartmann
  • hochgeladen von Philipp Hartmann

Wie schnell sich Hassbotschaften im Internet verbreiten, hat Franziska Geipel (32) erleben müssen. Von einem Tag auf den anderen wurde die Lehrerin der Carl-Zeiss-Oberschule zur Zielscheibe von Beschimpfungen aus dem rechten Spektrum. Eine Schlagzeile brachte den Stein ins Rollen. Die eigentliche Debatte wird dabei aus den Augen verloren.

Zum Schuljahr 2018/2019 hatte Franziska Geipel die ungewöhnliche Idee, mit einer Döner-Tasting-AG die Schreibkompetenz ihrer Schüler zu verbessern. Alle zwei Wochen testeten die Neuntklässler einen Imbiss in der Stadt, machten sich Notizen und verfassten Rezensionen. So sollten sie motiviert werden, längere Texte zu schreiben und sich mit Sprache auseinanderzusetzen. Keine Selbstverständlichkeit, da Jugendliche heute vor allem mit Kurznachrichten über WhatsApp kommunizieren. Die Berliner Woche wurde auf die Arbeitsgemeinschaft aufmerksam, begleitete die Schüler und veröffentlichte Ende März einen Bericht.

Ein paar Wochen später fragte der Axel-Springer-Verlag, der das Thema für die B.Z. und die Bild-Zeitung aufgreifen wollte, an. Franziska Geipel durfte den Artikel vor Erscheinen lesen. Sie hatte keine Einwände, doch wusste sie nichts von der späteren Schlagzeile und dem Cover. „Wir sind von einer Randspalte ausgegangen, wo vielleicht ein kleines Foto von den Schülern abgedruckt wird“, blickt sie zurück. „Von der Titelseite war überhaupt keine Rede.“ Auf bild.de lautete die Schlagzeile: „Döner essen für gute Noten“. Die B.Z. titelte am 13. Mai auf Seite eins: „Döner-Unterricht für Berliner Schüler. Machen Fleischspieße und Knoblauchsoße wirklich schlauer?“ Dazu wurde ein großes Foto gedruckt, auf dem drei Schüler in einen Döner beißen. Es flackerte in den U-Bahnen über alle Bildschirme des Berliner Fensters.

„Für mich war das eine populistische Überschrift, bei der völlig klar war, in welche Richtung die Meinungsbildung gehen soll“, sagt Franziska Geipel. „Die Kinder haben auch sofort gemerkt, dass sie nicht besonders gut dargestellt worden sind.“ Sie hatte den Eindruck, ihre Schüler sollten als Beweisstück dienen, dass Schüler heute generell schlecht schreiben können. „Ich habe als Lehrerin die Verantwortung für sie. Es hat sich deshalb besonders schlecht angefühlt, dass sie in dieser Weise vorgeführt wurden.“ Wie ein Lauffeuer breitete sich die Berichterstattung in der Carl-Zeiss-Oberschule aus. Franziska Geipel musste sich vor aufgebrachten Eltern erklären. Auf Facebook hagelte es Kritik von Menschen, die nur die Schlagzeile gesehen, sich jedoch nicht mit den Hintergründen beschäftigt hatten. „Das ist doch wohl totaler Quatsch! Wie wäre es mit anständigem Unterricht?“, schrieb eine Frau. „Ich krieg jetzt schon Angst, dass mein Kind nächstes Jahr zur Schule muss“ oder „Mich wundert nichts mehr. Mit der Welt habe ich abgeschlossen“ waren weitere von mehreren Hundert Kommentaren.

Auch konservative bis rechtsorientierte Websites griffen den Artikel auf, schrieben ihn auf Grundlage falscher Fakten um und ließen ihre User beleidigend kommentieren. Dass es sich bei der Döner-AG nicht um Unterricht handelt, sondern die Teilnahme freiwillig ist, blieb unerwähnt. Franziska Geipel fühlte Hilflosigkeit und Wut, dass sie trotz Rechtsbeistand nicht einmal ihren eigenen Namen schützen konnte, der plötzlich überall zu lesen war. Weitere Anfragen von ProSieben und Sat.1, verschiedenen Online-Portalen, Tageszeitungen und der Deutschen Presse-Agentur blockte sie ab, weil sie mit der Situation überfordert war. In der rbb-Abendshow wurde ein Satirebeitrag über die Döner-AG gezeigt, die Monate später auch noch Thema einer Quizfrage in einer ARD-Sendung mit Jörg Pilawa sowie bei „Genial daneben“ in Sat.1 war. Inzwischen ist die AG aufgelöst, jedoch nur vorübergehend. Ab dem nächsten Schuljahr soll sie wieder angeboten werden, denn sowohl die Lehrerin als auch die Schulleitung sind trotz des Echos von dem Konzept komplett überzeugt. Unterstützung bekommt Franziska Geipel auch von Schülern und Eltern.

Durch die Ereignisse hat sie viel gelernt und möchte die Erfahrungen gern in den Unterricht einfließen lassen. „Ich habe gesehen, was Medienvertreter anrichten können, die sich ihrer Verantwortung offenbar nicht bewusst sind“, sagt sie. Dieser Aspekt sei ein spannendes Diskussionsthema für die Schüler in der Oberstufe. „Es ist besonders bedenklich, dass neue Konzepte im Bildungswesen durch diese Form der Berichterstattung im Keim erstickt werden. Wir benötigen aber in Deutschland dringend eine fundierte Debatte zu innovativen und relevanten Unterrichtsmethoden, deren Ziel es ist, junge Menschen mit Empathie zu verantwortungsvollen Mitgliedern der Gesellschaft heranwachsen zu lassen.“

Autor:

Philipp Hartmann aus Köpenick

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

49 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 790× gelesen
WirtschaftAnzeige
JRB DER HEIMWERKER hat alles, was Ihr Weihnachtsfest schöner macht. | Foto: JRB DER HEIMWERKER

JRB DER HEIMWERKER
Alles für Advent und Weihnachten

JRB DER HEIMWERKER hat ein stimmungsvolles und umfangreiches Angebot im Weihnachtsmarkt für Sie, liebe Kunden, zusammengestellt. Im EG. und 1. OG, das Sie bequem mit Rolltreppe oder Aufzug erreichen können, erwartet Sie eine große Auswahl an Weihnachtsdekoration. Christbaumkugeln und Spitzen in vielen Farben und Formen sowie viele Deko-Artikel, Figuren sind in großer Auswahl vorhanden. Das wichtigste ist ein guter Weihnachtsbaumständer und natürlich die Beleuchtung. Wir führen Lichterketten,...

  • Köpenick
  • 27.11.24
  • 793× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 484× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 967× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.871× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.