Eine Schlagzeile war der Auslöser
Lehrerin mit neuem Konzept wurde von Shitstorm überrascht
Wie schnell sich Hassbotschaften im Internet verbreiten, hat Franziska Geipel (32) erleben müssen. Von einem Tag auf den anderen wurde die Lehrerin der Carl-Zeiss-Oberschule zur Zielscheibe von Beschimpfungen aus dem rechten Spektrum. Eine Schlagzeile brachte den Stein ins Rollen. Die eigentliche Debatte wird dabei aus den Augen verloren.
Zum Schuljahr 2018/2019 hatte Franziska Geipel die ungewöhnliche Idee, mit einer Döner-Tasting-AG die Schreibkompetenz ihrer Schüler zu verbessern. Alle zwei Wochen testeten die Neuntklässler einen Imbiss in der Stadt, machten sich Notizen und verfassten Rezensionen. So sollten sie motiviert werden, längere Texte zu schreiben und sich mit Sprache auseinanderzusetzen. Keine Selbstverständlichkeit, da Jugendliche heute vor allem mit Kurznachrichten über WhatsApp kommunizieren. Die Berliner Woche wurde auf die Arbeitsgemeinschaft aufmerksam, begleitete die Schüler und veröffentlichte Ende März einen Bericht.
Ein paar Wochen später fragte der Axel-Springer-Verlag, der das Thema für die B.Z. und die Bild-Zeitung aufgreifen wollte, an. Franziska Geipel durfte den Artikel vor Erscheinen lesen. Sie hatte keine Einwände, doch wusste sie nichts von der späteren Schlagzeile und dem Cover. „Wir sind von einer Randspalte ausgegangen, wo vielleicht ein kleines Foto von den Schülern abgedruckt wird“, blickt sie zurück. „Von der Titelseite war überhaupt keine Rede.“ Auf bild.de lautete die Schlagzeile: „Döner essen für gute Noten“. Die B.Z. titelte am 13. Mai auf Seite eins: „Döner-Unterricht für Berliner Schüler. Machen Fleischspieße und Knoblauchsoße wirklich schlauer?“ Dazu wurde ein großes Foto gedruckt, auf dem drei Schüler in einen Döner beißen. Es flackerte in den U-Bahnen über alle Bildschirme des Berliner Fensters.
„Für mich war das eine populistische Überschrift, bei der völlig klar war, in welche Richtung die Meinungsbildung gehen soll“, sagt Franziska Geipel. „Die Kinder haben auch sofort gemerkt, dass sie nicht besonders gut dargestellt worden sind.“ Sie hatte den Eindruck, ihre Schüler sollten als Beweisstück dienen, dass Schüler heute generell schlecht schreiben können. „Ich habe als Lehrerin die Verantwortung für sie. Es hat sich deshalb besonders schlecht angefühlt, dass sie in dieser Weise vorgeführt wurden.“ Wie ein Lauffeuer breitete sich die Berichterstattung in der Carl-Zeiss-Oberschule aus. Franziska Geipel musste sich vor aufgebrachten Eltern erklären. Auf Facebook hagelte es Kritik von Menschen, die nur die Schlagzeile gesehen, sich jedoch nicht mit den Hintergründen beschäftigt hatten. „Das ist doch wohl totaler Quatsch! Wie wäre es mit anständigem Unterricht?“, schrieb eine Frau. „Ich krieg jetzt schon Angst, dass mein Kind nächstes Jahr zur Schule muss“ oder „Mich wundert nichts mehr. Mit der Welt habe ich abgeschlossen“ waren weitere von mehreren Hundert Kommentaren.
Auch konservative bis rechtsorientierte Websites griffen den Artikel auf, schrieben ihn auf Grundlage falscher Fakten um und ließen ihre User beleidigend kommentieren. Dass es sich bei der Döner-AG nicht um Unterricht handelt, sondern die Teilnahme freiwillig ist, blieb unerwähnt. Franziska Geipel fühlte Hilflosigkeit und Wut, dass sie trotz Rechtsbeistand nicht einmal ihren eigenen Namen schützen konnte, der plötzlich überall zu lesen war. Weitere Anfragen von ProSieben und Sat.1, verschiedenen Online-Portalen, Tageszeitungen und der Deutschen Presse-Agentur blockte sie ab, weil sie mit der Situation überfordert war. In der rbb-Abendshow wurde ein Satirebeitrag über die Döner-AG gezeigt, die Monate später auch noch Thema einer Quizfrage in einer ARD-Sendung mit Jörg Pilawa sowie bei „Genial daneben“ in Sat.1 war. Inzwischen ist die AG aufgelöst, jedoch nur vorübergehend. Ab dem nächsten Schuljahr soll sie wieder angeboten werden, denn sowohl die Lehrerin als auch die Schulleitung sind trotz des Echos von dem Konzept komplett überzeugt. Unterstützung bekommt Franziska Geipel auch von Schülern und Eltern.
Durch die Ereignisse hat sie viel gelernt und möchte die Erfahrungen gern in den Unterricht einfließen lassen. „Ich habe gesehen, was Medienvertreter anrichten können, die sich ihrer Verantwortung offenbar nicht bewusst sind“, sagt sie. Dieser Aspekt sei ein spannendes Diskussionsthema für die Schüler in der Oberstufe. „Es ist besonders bedenklich, dass neue Konzepte im Bildungswesen durch diese Form der Berichterstattung im Keim erstickt werden. Wir benötigen aber in Deutschland dringend eine fundierte Debatte zu innovativen und relevanten Unterrichtsmethoden, deren Ziel es ist, junge Menschen mit Empathie zu verantwortungsvollen Mitgliedern der Gesellschaft heranwachsen zu lassen.“
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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