Erfolgreich und nicht glücklich
Kurt Tucholskys Jahre in der Bundesallee 79

"Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf." Die Gedenktafel für Kurt Tucholksy am Haus Bundesallee 79. | Foto: KEN
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  • "Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf." Die Gedenktafel für Kurt Tucholksy am Haus Bundesallee 79.
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Kurt Tucholsky ist schon viel herumgekommen, als er, der waschechte Berliner, 30-jährig die Wohnung in Friedenau bezieht.

1890 wird „Tucho“ als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in einer Mietwohnung in der Lübecker Straße 13 im Arbeiterviertel Moabit geboren. Kindheit und Jugend verbringt er in Stettin und Berlin. Nach dem Abitur 1909 studiert er Jura in Berlin und Genf. Zeitweilig verdrängt die Schriftstellerei, die Kurt Tucholsky schon als Schüler betreibt, das Studieren. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg beendet er das Studium mit einer Promotion in Jena. Im Krieg ist er Armierungssoldat, eine Art „Bausoldat“, an der Ostfront. 1918 wird er als Vizefeldwebel und Feldpolizeikommissar nach Rumänien beordert. Dann ist der Krieg aus. Tucholsky unterstützt die junge Republik.

1920 also Einzug in das neun Jahre zuvor erbaute Haus in der Bundesallee 79 gemeinsam mit seiner Frau Else Weil, einer Ärztin und Freundin seit Studientagen. Else ist die „Claire“ aus seiner berühmten Erzählung „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“, die 1912 in Charlottenburg erschienen ist.

In „Sonntag-Nachmittag“ beschreibt Kurt Tucholsky alias Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel oder Kaspar Hauser – man mag es kaum glauben – eine stille Bundesallee, damals die Kaiserallee: „In meiner Straße ist es still – so still. Der Wind weht ein paar Glockenklänge herüber, aber man fühlte auch ohne sie, dass heute Sonntag ist. (…). Ich stehe auf dem Balkon und probiere eine neue Pfeife (...).“

Tucholsky beschreibt keineswegs nur Idyllisches. Er tritt den Unabhängigen Sozialdemokraten bei und bleibt Mitglied bis zur Auflösung 1922. Er schreibt für die USPD Artikel. Auf ihren Versammlungen betätigt er sich als Redner. Später wird er in einem Brief gestehen, „den Durchschnittstypus des deutschen Intellektuellen – mich eingeschlossen – nicht für den berufenen Führer des deutschen Proletariats“ für geeignet zu halten.

In Friedenau beginnt Kurt Tucholsky, „nicht nur Analysen des Vergangenen zu geben, sondern auch mit erschreckender Klarsicht zu warnen und zu prophezeien“, den Kapp-Putsch, die Ermordung des Außenministers Walther Rathenau, so der Herausgeber seiner gesammelten Werke in den 70er-Jahren, Fritz J. Raddatz.

Kurt Tucholsky ist berühmt. Seine Artikel erscheinen Woche für Woche in der „Weltbühne“. Die Zeitschrift hat er mit Carl von Ossietzky zu einer der einflussreichsten der Weimarer Republik aufgebaut. In den Berliner Kabaretts singen sie seine Chansons. Zeitungen und Zeitschriften drucken seine Gedichte, Feuilletons und Humoresken.

Trotzdem sind Tucholskys Friedenauer Jahre keine glücklichen. Die Inflation frisst sein kleines Vermögen. Er hat Depressionen und Frauengeschichten. Im Mai 1924 wird die Ehe aufgelöst. Else Weil später: „Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden.“

Am 30. August 1924 heiratet Tucholsky Mary Gerold und geht mit ihr nach Paris. Er lebt die meiste Zeit im Ausland, seit 1929 endgültig in Schweden. 1933 bürgern ihn die Nazis aus. 1935 nimmt sich der, der „mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte“ (Erich Kästner), in Göteborg das Leben.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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