Sensation aus dem Ei
Erster Nachwuchs bei Berliner Kurzschnabeligeln seit 115 Jahren
Ein eierlegendes Säugetier mit Stacheln und Beutel hat 2023 das Oster-Ei des Jahrhunderts gelegt: In Berlin ist erstmals seit 115 Jahren ein Neuguinea-Kurzschnabeligel aus dem Ei geschlüpft.
1908 kam im Zoo Berlin der weltweit erste Schnabeligel außerhalb des natürlichen Lebensraumes zur Welt. Mehr als ein Jahrhundert später konnte der Tierpark Berlin an diesen historischen Erfolg anknüpfen.
Am 25. Februar entdeckte Tierpflegerin Andrea Fleischer erstmals in der Geschichte des Tierpark Berlin ein Jungtier bei den kuriosen Ursäugern aus Australien und war sofort in heller Aufregung. „In meinen 45 Dienstjahren habe ich hier schon wirklich Einiges erlebt, aber das war ein ganz besonderer Augenblick“, berichtet die Revierleiterin euphorisch.
Seit rund zehn Jahren leben im Tierpark die drei Kurzschnabeligel Tufi (12 Jahre), Bruno (12) und Harapan (9). „Wir haben schon lange auf Nachwuchs gehofft, waren in engem Austausch mit Kollegen aus anderen Zoos auf der ganzen Welt und haben die Haltungsbedingungen immer wieder entsprechend der neuesten Erkenntnisse angepasst. Nun scheinen die Voraussetzungen perfekt gewesen zu sein. Tufi hat sich Harapan als Vater ihres ersten Jungtieres auserkoren", beschreibt Fleischer die jahrelangen Bemühungen um Nachwuchs. Es gibt nur wenige Schnabeligel in menschlicher Obhut. Von der Unterart des Neuguinea-Kurzschnabeligels sind es weltweit nur 33 Tiere – dass sie sich fortpflanzen ist umso seltener. Jeder Nachwuchs ist in Fachkreisen eine kleine Sensation und in Deutschland ist die Aufzucht erst zweimal zuvor geglückt.
Lebende Zeitzeugen der Evolution
Stacheln wie ein Igel, ein Schnabel wie ein Vogel, ein Beutel wie ein Känguru und kräftige Grabekrallen wie ein Maulwurf: Was nach einem wahrlich fantastischen Tierwesen klingt, das der Vorstellungskraft Joanne K. Rowlings entsprungen zu sein scheint, existiert tatsächlich: Der Kurzschnabeligel ist von Kopf bis Fuß ein ungewöhnliches Tier. Elektrorezeptoren an der röhrenförmigen Nase helfen ihm beim Aufspüren seiner Nahrung. Zusammen mit den Schnabeltieren sind Schnabeligel die einzigen Säugetiere auf der Welt, die Eier legen. Der Paarungstanz findet im Gänsemarsch statt: Nach einem als „echidna love train“ bekannten Ritual, bei der interessierte Männchen ihrer Herzensdame in einer Art Paarungspolonaise folgen, wird ein etwa weintraubengroßes Ei vom Weibchen in eine temporäre Bauchtasche verstaut, bis daraus 10 Tage später ein noch nacktes, gummibärchengroßes Jungtier schlüpft. Nach rund zwei Monaten bilden sich beim Jungtier – genannt Puggle – die ersten Stacheln und die Mutter versteckt ihren piksenden Mini-Schnabeligel in einer unterirdischen Höhle, wo sie ihn regelmäßig zum Säugen aufsucht. Da Schnabeligel im Gegensatz zu allen anderen Säugetieren keine Zitzen haben, saugt das Jungtier die Milch aus Milchfeldern aus dem Fell der Mutter. Schnabeligel wie auch die Schnabeltiere besitzen nur eine Körperöffnung für Kot, Urin und die Ei-Ablage. Dies verschaffte ihnen den wenig wohlklingelnden Namen „Kloakentiere“ oder Monotrematen. „Die Monotrematen sind eine sehr urtümliche Gruppe der Säugetiere, die es bereits zu Zeiten der Dinosaurier gab und Merkmale der Reptilien und Säugetiere in sich vereinen“, erklärt Zoo- und Tierparkdirektor Dr. Andreas Knieriem und fügt hinzu: „Mit diesem sensationellen Nachwuchs haben wir im Tierpark in diesem Frühjahr neben den bereits ausgestorbenen Dinosauriern einen quicklebendigen Zeitzeugen der Evolution dazugewonnen.“
Nachdem die drei Schnabeligel Harapan, Bruno und Tufi ihr ehemaliges Zuhause im Dickhäuterhaus verlassen mussten, fanden sie in einem rückwärtigen Bereich des Tierparks eine vorübergehende Unterkunft. Dort sind die Tiere aktuell nicht für Tierpark-Besucher zu sehen. Eines der beiden Männchen wird jedoch in Kürze ein neues Zuhause im Nachttierhaus des Zoos Berlin finden.
Zoos schaffen wertvolles Wissen
„Das Wissen über Tiere ist die Basis für erfolgreiche Erhaltungszuchtprogramme", erklärt der Zoologische Leiter Christian Kern. "Dieses Wissen können wir uns oft erst durch die Beobachtung der Tiere in menschlicher Obhut aneignen. Dass es Zoos inzwischen gelungen ist, durch wissenschaftliche Studien und intensiven internationalen Austausch mit Fachkollegen mehr über diese Tiere und ihr Fortpflanzungsverhalten zu lernen, ist ein großartiger Erfolg. Für die vom Aussterben bedrohten Verwandten, die Langschnabeligel, könnte dieses Wissen überlebenssichtig werden", berichtet er weiter. Erhaltungszuchtprogramme spielen bei der Rettung bedrohter Tierarten eine wichtige Rolle. Durch koordinierte Nachzucht in zoologischen Einrichtungen konnten bereits die einst im natürlichen Lebensraum ausgerotteten Przewalskipferde und Wisente gerettet werden. Auch für viele andere vom Aussterben bedrohten Arten wie den Vietnamesischen Fasan ist die Nachzucht in menschlicher Obhut und Wiederansiedlung in ihrem natürlichen Lebensraum die letzte Hoffnung.
Autor:Manuela Frey aus Charlottenburg |
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