Bewegtes Künstlerinnen-Leben: Ausstellung über Jenny Wiegmann-Mucchi
Haselhorst. In der Alten Kaserne auf der Zitadelle wird noch bis zum 3. September die Bildhauerin Jenny Wiegmann-Mucchi (1895 – 1969) gewürdigt.
Ihr Elternhaus ist noch heute eines der markanten alten Gebäude in der Altstadt: Breite Straße 17. Hier richtete Jenny Wiegmanns Vater Fritz seine erste Konditorei ein, die er 1903 in die Räume der Konditorei Lüdemann in der Breiten Straße 20 verlegte. Nicht nur Vater Fritz schrieb mit seiner Konditorei Spandauer Wirtschaftsgeschichte.
Noch deutlicher sind die Spuren von Großvater August Voigt. Der Klempnermeister baute Spandaus erste Zentralheizung. Sein 1877 errichtetes Haus an der Pichelsdorfer Straße 69 steht heute unter Denkmalschutz, so wie einige der immer noch vorhandenen Heizkörper.
Jenny Wiegmann muss ein lebhaftes Kind gewesen sein. Aus dem Jahre 1910 datiert ein Brief des Rektors der Städtischen Höheren Mädchenschule, direkt neben der Nikolaikirche gelegen, an Vater Fritz, dieser möge seine Tochter „recht ernstlich bestrafen“, weil sie außen auf dem Fensterbrett des Klassenzimmers im zweiten Stock herumgeklettert war.
Jenny setzte auch später ihren eigenen Willen durch. Da Frauen das Studium an einer staatlichen Kunstakademie verschlossen war, nahm sie Zeichen- und Malunterricht an der privaten Lewin-Funcke-Schule. Zu ihren Lehrern gehörten Lovis Corinth und der Bildhauer August Kraus, ein Schüler von Reinhold Begas.
1920 heiratete Jenny Wiegmann Berthold Müller-Oerlinghausen, der mit ihr beim Holzschnitzer und Bildhauer Hans Perathoner studiert hatte. Das Paar erhielt Aufträge zur Gestaltung katholischer Kirchen, 1922 konvertierten beide zum Katholizismus. Zehn Jahre später war die Arbeit an der Innenausstattung der Heilig-Geist-Kirche in Berlin-Charlottenburg ihre letzte gemeinsame Arbeit. Da hatten sich schon Jenny Wiegmann und der italienische Maler Gabriele Mucchi kennengelernt. 1933 willigte Müller-Oerlinghausen in die Scheidung ein, im Oktober heirateten Jenny Wiegmann und Gabriele Mucchi in Mailand.
Botendienste für Partisanenkämpfer
Jenny Wiegmann machte sich einen Namen als Künstlerin in Italien, und geriet zugleich in den Malstrom der Geschichte. Sie übernahm Botendienste für Partisanengruppen, und sie musste miterleben, wie der Vater ihrer Freundin und Kollegin Lica Steiner von der Waffen-SS zusammen mit zwei Verwandten abgeführt wurden. Erst später erfuhr sie, dass sie im Anschluss erschossen worden waren. 1967 gab es in Osnabrück einen Prozess gegen die Täter, doch im Revisionsprozess kamen sie wegen Verjährung auf freien Fuß.
Die Politik bestimmt auch weiter das Leben der Bildhauerin, auch wenn ihre Arbeit frei ist von überdeutlichen Botschaften. Eine schlanke Frauengestalt mit den Händen auf dem Rücken von 1959 trägt den Titel „Verhör in Algerien“ und spielt auf die Brutalität der auf dem Rückzug befindlichen Kolonialmacht Frankreich. Dem 1961 ermordeten kongolesischen Befreiungspolitiker Patrice Lumumba setzt sie noch im selben Jahr mit einem sitzenden, selbstbewusst sein Schicksal hinnehmenden Mann ein Denkmal.
Die Künstlerin selbst pendelt nach dem Krieg zwischen Italien und Ost-Berlin, wo ihr Mann Gabriele Mucchi eine Professur an der Kunsthochschule Weißensee erhält. Sie stirbt am 2. Juli 1969 in der Klinik Berlin-Buch an einer spät erkannten Krebserkrankung. Sie wurde auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde in unmittelbarer Nähe des Grabes von Käthe Kollwitz beigesetzt. CS
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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