Ein Mammutwerk, das viel Kondition abverlangt
Eindrücke nach mehr als sieben Stunden der „letzten Tage der Menschheit“

In der Inszenierung von Regisseur Paulus Manker spielen spektakuläre Szenenbilder eine große Rolle.   | Foto:  Thomas Frey
10Bilder
  • In der Inszenierung von Regisseur Paulus Manker spielen spektakuläre Szenenbilder eine große Rolle.
  • Foto: Thomas Frey
  • hochgeladen von Thomas Frey

Um 1.34 Uhr war der letzte Auftritt beendet. Etwas später, als zuvor angekündigt. Die gesamte Dauer wurde auf rund sieben Stunden, inklusive Pause taxiert. Eine halbe Stunde weniger, als es dann geworden sind.

Das galt zumindest für die Premiere der Mammutaufführung "Die letzten Tage der Menschheit" vom 20. bis 21. August in der Belgienhalle auf der Insel Gartenfeld. Die Inszenierung beinhaltet große Teile des gleichnamigen Monumentalwerks des österreichischen Publizisten und Schriftstellers Karl Kraus (1874-1936). Das Thema sind der Ablauf und vor allem die Schrecken des Ersten Weltkriegs.

Gespielt wird das auf verschiedenen Ebenen und in wechselnden Szenen, die teilweise auch parallel ablaufen. Der Zuschauer muss sich entscheiden, ob er lieber im Kaffeehaus, im Badehaus oder im Lazarett die weitere Handlung verfolgt. Auch die Belgienhalle hängt mit den damaligen Geschehnissen zusammen, denn das Bauwerk wurde während des Ersten Weltkriegs zwar nicht in Belgien, aber in Frankreich erbeutet.

Zwischen den einzelnen Schauplätzen in dem Gebäude liegen Schienen. Gleich zu Beginn wird eine Eisenbahn hereingefahren. Per Bahn werden die Besucher später nach draußen transportiert, auf dem Weg an die Front. Vor der Halle dient eine Baugrube als Schützengraben.

Vis-à-vis wird ein Gefecht simuliert. Die akustische Untermalung dafür sind die Geräusche der Arbeiten, die derzeit an der nahe gelegenen Brücke über den Hohenzollernkanal stattfinden. Auch andere Szenen sind bis ins Detail durchdacht. Wenn nach der Kriegserklärung Österreichs an Serbien Snacks verteilt werden, bestehen die aus Bratwurst und Cevapcici.

Die Verpflegung des Publikums spielt schon wegen der Länge eine Rolle. Es dauert allerdings vier Stunden, bis das Pausenbuffet eröffnet wird. Deklariert als Leichenschmaus für den 1916 gestorbenen österreichischen Kaiser Franz Joseph gibt es unter anderem Medaillons vom Jungschwein, Backhuhn mit Kartoffelsalat, Tofu auf Linsen und Tomaten oder Spinat-Rucola-Ravioli. Die reale Verpflegung in diesem Kriegsjahr bestand für die meisten Menschen aus Mangelernährung, gestreckt durch Ersatzstoffe.

Kaiser Franz Joseph gehört neben Kaiser Wilhelm II. zu den historischen Akteuren, die einen Auftritt haben. Aber auch andere zeitgenössische Figuren tauchen auf. Zum Beispiel die Kriegsberichterstatterin Alice Schalek, die sich als erste Frau Eindrücke an vorderster Front verschaffen durfte. Sie machte das mit großer Begeisterung, gierte nach Heldengeschichten, griff auch selbst zur Waffe.

Die Vertreter aus Politik, Militär, Bürokratie und Presse stehen für die Kriegstreiber und Kriegsgewinnler, Einpeitscher und Agitatoren. Ihre Manövriermasse ist das Volk, das zunächst aufgestachelt, später eher desillusioniert die Opfer trägt.

Karl Kraus hat das Werk weitgehend aus Proklamationen, Mitteilungen, Zeitungsartikel, Gesprächen zusammengesetzt. Gerade das gibt manchen Szenen eine zusätzliche Absurdität. Etwa bei der Predigt eines Feldgeistlichen, der die von Jesus Christus geforderte Feindesliebe für die Dauer des Krieges als ausgesetzt erklärt. Das Absurde sorgt beim Zuschauer gleichzeitig für manchen Zwiespalt. Er weiß nicht, ob er bei manchen Szenen lachen oder ernst bleiben soll.

Ähnliches gilt bei den visuellen und akustischen Beigaben. Auch hier ist die Inszenierung opulent, nutzt die Riesenhalle, einschließlich Außenbereich für besonders wirkmächtige Bilder. Je später der Abend, umso mehr spielt Kerzenschein eine Rolle. Und immer wieder die Eisenbahn. Vieles musikalisch unterlegt, von Richard Strauss über Mozart bis Vangelis "Conquest of Paradise". Getragen wird die Aufführung nicht zuletzt durch teilweise großartige schauspielerische Leistungen. Dabei müssen die meisten Mitglieder des knapp 20 Personen starken Ensembles in mehreren Rollen auftreten.

Allerdings bleibt die Frage, ob weniger als sieben Stunden dem Werk und seiner Botschaft nicht besser getan hätten. Denn spätestens nach Mitternacht waren beim Publikum Ermüdungserscheinungen zu beobachten. Wer ihm beiwohnen möchte, muss also Kondition mitbringen.

"Die letzten Tage der Menschheit" werden noch bis zum 12. September, von Freitag bis Sonntag, um18 Uhr in der Belgienhalle, Gartenfelder Straße 14-28, aufgeführt. Die Tickets zu 115 Euro gibt es unter produktion@letztetage.com. Mehr Informationen auf www.letztetage.com.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

47 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 433× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 412× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 363× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 400× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.716× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.