Erstaunen und Erleichterung
Hartmut Wittig verfolgte den Mauerfall vom Schreibtisch aus

Hartmut Wittig war im November 1989 Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Hellersdorf.  | Foto: hari
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  • Hartmut Wittig war im November 1989 Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Hellersdorf.
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In der Nacht als die Mauer fiel haben sich nicht gleich alle Ostberliner auf den Weg nach Westberlin gemacht. Einer von ihnen ist Hartmut Wittig, damals Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Hellersdorf.

„Für mich war und ist entscheidend, dass es an dem Tag keine Gewalt gegeben hat und letztendlich alles friedlich verlief“, sagt Hartmut Wittig, Pfarrer im Ruhestand seit 2017 und erster Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Hellersdorf. Am 9. November 1989 saß er zu Hause am Schreibtisch und verfolgte nebenbei die Pressekonferenz mit Günter Schabowski und sah auch, wie dieser von einem Zettel eine neue Regelung für Reisen ins westliche Ausland für DDR-Bürger ablas. Später habe er mit ungläubigem Erstaunen gesehen, wie sich die Menge über die Brücke Osloer Straße nach Westen schob. Wittig: „Gewundert hat es mich eigentlich nicht, nur, dass alles so scheinbar einfach und leicht ging.“

An die Mauer zog es ihn in der Nacht nicht mehr. Für den nächsten Tag stand ein voller Terminkalender an, unter anderem die Vorbereitung einer Begegnung mit Vertretern einer Partnergemeinde aus dem Ruhrgebiet. Deren Einreisepapiere in die Hauptstadt der DDR wollte er am Morgen des 10. November bei der Polizeidienststelle in der Cottbusser Straße abholen. Vor der Dienststelle der Polizei hatte sich schon eine lange Schlange von Wartenden gebildet, die sich ihr „Visum“, den Stempel im Personalausweis für die freie Passage nach Westen holen wollten. „Im Nachhinein betrachtet, war das alles lächerlich“, erläutert Wittig. An der Grenze wurde ohnehin nicht mehr richtig kontrolliert.

Auch am offenen Grenzübergang beschlichen ihn merkwürdige, widersprüchliche Gefühle. Einerseits sei das Gefühl von Freiheit gewesen, das sich einstellte. Andererseits waren da die noch herumliegenden Flaschen und Freibierbecher, die Hinterlassenschaften der Nacht. „Die langen Schlangen, die ich dann vor den Banken sah, um das Begrüßungsgeld zu empfangen, empfand ich als sehr befremdlich“, erinnert sich Wittig.

Seit 1986 begleitete er die evangelische Kirchengemeinde Hellersdorf, die offiziell 1987 gegründet wurde. Die Stadtbezirksverwaltung hatte zunächst eine Zwei-Raumwohnung an der Gothaer Straße für die Gemeindearbeit zur Verfügung gestellt. Hier flossen auch die Informationen zusammen, wie sich die Stimmung im Laufe des Sommers gegen die Staatsmacht aufstaute. An den Demonstrationen zum Republikgeburtstag am 7. Oktober nahmen auch Gemeindemitglieder teil, einige wurden auch verhaftet. „Wir waren froh, dass sie nach drei Tagen wieder da waren“, berichtet Wittig.

Unmittelbar vor dem Mauerfall hatten neugegründete politische Gruppen und Parteien angefragt, ob sie den Gemeindestützpunkt an der Gothaer Straße als Treffpunkt nutzen dürfen. Die Gemeinde hatte dem zugestimmt. Im Dezember 1989 wurde Wittig dann gebeten, dem Runden Tisch im Stadtbezirk Hellersdorf vorzusitzen. Diese Aufgabe nahm er bis zu den Wahlen zur Volkskammer im März 1990 wahr.

Autor:

Harald Ritter aus Marzahn

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