Vom Gutsherren bis zum Goldfisch
Freiluftausstellung auf Hauswänden: "Paste up History" zum 800. Geburtstag von Marienfelde

David Mannstein und Maria Vill haben die Wandbilder geschaffen. | Foto: BA Tempelhof-Schöneberg
5Bilder
  • David Mannstein und Maria Vill haben die Wandbilder geschaffen.
  • Foto: BA Tempelhof-Schöneberg
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Vermutlich vor 800 Jahren gründeten Ritter des Tempelordens das Dorf Marienfelde. Der runde Geburtstag konnte nicht groß gefeiert werden. Aber die Aktionen können sich trotzdem sehen lassen. Ein Höhepunkt ist eine Freilichtgalerie der ganz besonderen Art.

An Hauswänden hat das Künstler- und Ehepaar Maria Vill und David Mannstein „Paste-ups“ geklebt, bis zu 20 Meter hohe, auf Spezialpapier ausgedruckte Fotos. Fast alle haben einen Bezug zur Marienfelder Geschichte oder Gegenwart. „So ein Projekt hat Berlin noch nicht gesehen“, sagte Bürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD), als sie die Ausstellung am 21. August eröffnete.

Sie sei positiv überrascht gewesen, dass auch private Hauseigentümer sofort ihre Wände zur Verfügung stellten, keiner der Angefragten habe nein gesagt. Michael Gose, Leiter im Bundesinstitut für Risikobewertung, das im Gutshof Marienfelde zu Hause ist, betonte, er habe sich über die Aktion „total gefreut“. Er ließ die Gebäudewand sogar noch schnell neu malern, bevor die Künstler Hand anlegten.

Nun blickt das Ehepaar Adolf und Emilie Kiepert in den Park. Im Jahr 1844, er war gerade 24 Jahre alt, kaufte Adolf Kiepert das heruntergewirtschaftete Rittergut. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern nahm er es mit der sozialen Verantwortung ernst, gab vielen Menschen Arbeit und baute nach und nach einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb auf. Später gründete er mit dem Agrartechniker Max Eyth die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, die es heute noch gibt. „Das verbindet uns mit Adolf Kiepert, auch wir forschen auf unserem wissenschaftliche Versuchsgut, um für gute Lebensmittel zu garantieren“, so Michael Gose. Er habe absolut nichts dagegen, wenn das Wandbild länger als die vorgesehenen zwei Monate hängen bliebe.

Auch andere Bilder spiegeln Historisches: An der Kaiserallee grüßen acht Postbeamte aus der Kaiserzeit. Stünde das Gebäude noch, würden sie direkt auf ihren damaligen Arbeitsplatz schauen. An der Kirche St. Alfons, Beyrodtstraße 4, erinnert ein Pater an den Namensgeber Alfons von Liguori (1696-1787), der eine Moraltheologie begründete, die auf Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit setzte.

Auch die Schwestern im Kloster Vom Guten Hirten, Malteserstraße 171, taten Gutes: Sie nahmen junge Frauen auf, die arm oder obdachlos waren oder als Prostituierte arbeiten mussten. An einer Kirchenwand ist nun ein Mädchen in Überlebensgröße abgebildet. Das ehemalige Notaufnahmelager an der Marienfelder Allee ziert eine aus der DDR geflohene Familie. Das letzte Paste-up, das in die Geschichte zurückblickt, zeigt Moritz Jacobsohn an der Dr.-Jacobsohn-Promenade. Ohne ihn hätte es das Kunstprojekt vielleicht gar nicht gegeben.

„Ich bin dauernd durch die Straße gekommen und habe mich dann irgendwann gefragt, nach wem sie eigentlich benannt ist“, erzählt Maria Vill, die 2005 mit ihrer Familie nach Marienfelde zog. Sie fand heraus, dass der jüdische Arzt arme Menschen kostenlos behandelte und gemeinsam mit seiner Frau auch andere Hilfsbedürftige unterstützte, bis er vor den Nazis fliehen musste. Maria Vills Interesse an der Lokalgeschichte war geweckt.

Die restlichen drei Wandmotive zeigen „Modernes“, wie ein träumendes Mädchen an der Stadtbibliothek. Die Fassade eines Wohnhauses an der verkehrsumtosten Kreuzung Hildburghauser und Friedenfelser Straße wird von einem Paste-up geschmückt, das ein kleines Flugzeug zeigt und darüber – als klimafreundliche Alternative – ein fliegendes Kind und einen Kranich. Last, but not least hat das Künstlerpaar den Schlauchturm der Alten Feuerwache, Alt-Marienfelde 36, verziert. Fünf junge Menschen stehen einer auf den Schultern des anderen, um einen Fisch zu erreichen, Sinnbild für ein Ziel, das nur gemeinsam zu erreichen ist. Als Modell für das glänzende Tier hat den Künstlern ein Goldfisch aus dem hauseigenen Teich gedient. Die beiden mussten übrigens Schwerstarbeit geleistet, die Bilder haben sie während der extremen Hitze Mitte August auf die Wände geklebt – stundenlang standen sie auf Gerüsten.

Die Ausstellung lädt nun zum Spaziergang durch Marienfelde ein. Am 25. September werden dann Informationstafeln zur Geschichte des Ortsteils feierlich übergeben. Sie werden auf Dauer an Ort und Stelle bleiben. Verantwortlich dafür zeichnet der Arbeitskreis Historisches Marienfelde.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

25 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 98× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 541× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 504× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 456× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 480× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.